von Benedikt Kaiser
Kaisers Zone (20)
Das hat Tradition: Der größte Anteil von Vätern, die nach der Geburt eines Kindes zuhause bleiben, lebt in Sachsen. Neue Zahlen zeigen: Rund 30 Prozent der Leistungsempfänger von Elterngeld in Sachsen sind Väter, was im bundesweiten Vergleich aller 16 Bundesländer den Spitzenplatz bedeutet. Erneut, denn bereits im Vorjahr war Sachsen auf Platz 1.
Im sächsischen Volksmund hört man oft: Die hohe Versorgungsquote auch von Vätern liegt in der Geschichte begründet, konkret: in der DDR-Geschichte. Das ist richtig und falsch zugleich. Falsch ist es, weil es in der gesamten Historie des mittel- bzw. ostdeutschen Teilstaates keine sogenannten Vätermonate gegeben hat. Richtig ist es, weil das Elterngeld als solches kein „schwedischer“ Import in die Bundesrepublik darstellt, wie Medien heute in der Regel falsch wiedergeben, sondern einen DDR-Reimport in die neue BRD!
Hintergrund: In der DDR trat 1950 das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ in Kraft. Darin wurde neben dem Mutterschutz auch die Situation der staatlichen Kinderbetreuung und Förderungen skizziert. Frauen wurden vor und nach der Geburt für mehrere Wochen bei vollem Lohnausgleich freigestellt, erhielten „Stillgeld“ und Zahlungen für die „Wäscheausstattung“. Hinzu kamen Fördertöpfe für kinderreiche Familien und ab 1976 das bezahlte „Babyjahr“. Im Westdeutschland der damaligen Zeit war all das undenkbar.
Doch mit dem Anschluß der DDR an die BRD gingen nicht nur Stasi, Kommandowirtschaft und Volkseigene Betriebe unter, sondern auch Leistungen, die im Volk als positiv angesehen wurden. Aber für die Besiegten von 1990 galt: Alles, was mit „DDR“ zu tun hatte oder nach „DDR“ klang, sollte getilgt werden. So bezog sich Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD), die ab 2005 für das Elterngeld im Sinne eines „Babyjahres“ als Modell für die BRD warb, dann auch nicht auf die realexistierende ostdeutsche Erfolgspraxis der Vorwendejahre, sondern auf Schweden. Sie popularisierte das Elterngeldmodell ohne jedwede DDR-Anleihen, ihre Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) führte dieses Elterngeld dann tatsächlich ein.
Mittlerweile ist es – inklusive „Vätermonaten“ – nicht mehr aus der Alltagspraxis der Deutschen wegzudenken, einerlei ob in „Ost“ oder „West“. Aber die Wurzeln dieses Fördermodells lagen und liegen in der „Zone“. Ein Umstand, der den auch in dieser Hinsicht geschichtsvergessenen Bundesdeutschen nicht ansatzweise geläufig ist.
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.