von Bruno Burchhart
Für einen Spanienbesucher ist es beeindruckend, daß und wie die Spanier zu ihrer Geschichte stehen. Die jahrhundertelange Machtausübung der Mauren und die darauffolgende Reconquista sind weitgehend geläufig. Das maurische Erbe Hispaniens – z.B. die weltberühmte Alhambra Granadas sowie die ebenso schönen Alcazar-Festungen – wird hervorragend gepflegt und präsentiert. Die Macht und Pracht der katholischen Kirche und Könige kann in den überaus goldüberladenen Kathedralen in den spanischen Städten bewundert werden.
Weniger beachtet wird hierorts die nach den Römern einsetzende Zeit der germanischen Geschichte Iberiens. Umso überraschender ist jedoch die Pflege auch des germanischen Erbes Spaniens im geistigen und öffentlichen Raum. So wird von nicht wenigen Gelehrten der Name des herrlichen Andalusiens von den Vandalen abgeleitet: Es war Vandalusien genannt, waren doch die silingischen Vandalen im Zuge der Völkerwanderung nach der Rheinüberquerung und dem Durchmarsch durch Gallien im Süden der seinerzeitigen „Hispania ulterior“ gelandet und hatten ihr Vandalenreich (409-429) errichtet. Auch die arabischen Gelehrten des späteren Maurenreiches führen den Namen Andalusien (arab. al-andaluz) auf diese Vandalengeschichte zurück. Übrigens zogen die Vandalen unter König Geiserich im 5. Jh. n. Chr. nach Nordafrika, wo sie ein florierendes Königreich gründeten. Eine schöne Geschichte – wir sollten sie mit Stolz betrachten.
Unbekanntes „Gotalonien“
Wenig bekannt ist die Herrschaft der Westgoten (458-711) im heute spanischen Bereich. Hat jemand schon von Gotalonien gehört? Und doch war dies lange die Bezeichnung des heutigen Kataloniens – abgeleitet ist das von den Goten. Mit den Westgoten hat die jahrhundertelange Beziehung der Germanen mit Spanien begonnen, die von den römisch-deutschen Habsburgerkaisern (Karl V.) letztlich über den von Deutschen mitgetragenen spanischen Bürgerkrieg bis zum heutigen gemeinsamen EU-Verband und Spanien als bevorzugtem Urlaubsland der Deutschen weitergeht. Nach Trennung der Westgoten von den Ostgoten und dem Untergang der Hunnen bei den mittelgallischen Katalaunischen Feldern (451) hatten die auch „Visigothen“ Genannten zunächst das untergallische Tolosanische Reich mit der Hauptstadt Toulouse gegründet. Von dort wichen sie nach der Niederlage gegen den Franken Chlodwig nach Hispanien aus. Dort errichteten sie das Toledanische Reich mit der namengebenden Hauptstadt Toledo. Wer kennt sie noch, die vielen, z.T. auch sehr wichtigen und bemerkenswerten Herrscher und Könige der Westgoten: den ersten Rex, Wallia, als Föderaten Roms; den überaus bedeutenden Gesetzgeber Eurid, der als erster Europäer eine poströmische Rechtskodifikation durchführte, den tatkräftige Herrscher Levigild als Unterwerfer Spaniens; den Städtegründer Rekkared, der auch den Katholizismus gegen den Arianismus durchsetzte; den machtvollen Wamba, der als erster Europäer beispielgebend als König gesalbt wurde und den letzten, letztlich erfolglosen Roderich, der durch Verrat die Eroberung Spaniens durch die Mauren 711 unter Tariq al Zijad zulassen mußte.
Vor dem Madrider Königsschloß stehen am Plaza Oriente die Statuen westgotischer Könige: welch bemerkenswertes Traditionszeichen! Im Sinne des Thermopylen-Spruches könnte man in Abwandlung Schillers festhalten: Wandrer, kommst Du nach Spanien, gedenke der Vorfahren, die hier ihr Bestes gaben. Auch das können wir mit Stolz betrachten. Was ist sonst von den Westgoten geblieben? Man muß schon auf geduldige Suche gehen, um den Palast des Romiro oder die kleinen romanischen Kirchen in Nordspanien zu finden. Den Gotenschatz kann man im Archäologischen Nationalmuseum in Madrid bewundern. Gewisse Bräuche und Namensrudimente, siehe „Gotalonien“, gibt es noch. Geblieben ist aber vor allem die große Geschichte. Es sind auch unsere Wurzeln!