Herzogtum Steiermark, Kupferstich von 1791

Untersteiermark – die „andere Steiermark“

von Reinhard Reimann

Der Begriff „Untersteiermark“ bezeichnet zumeist jenen Teil des von 1180 bis 1918 bestehenden Herzogtums Steiermark, welcher heute zu Slowenien gehört. Dieses etwa 6.000 Quadratkilometer große Gebiet umfaßte ein gutes Viertel der Fläche und 1910 rund ein Drittel der Bevölkerung des alten Herzogtums. Im Slowenischen wird das Land heute schlicht „Štajerska“ (Steiermark) genannt, das österreichische Bundesland hingegen „avstrijska Štajerska“ (österreichische Steiermark).

Vom Hochmittelalter bis 1918 teilte die Untersteiermark die politischen Geschicke der gesamten Steiermark.

Als Teile des ottonischen Markengürtels im Südosten des Deutschen Reiches entstanden um die erste Jahrtausendwende auch auf dem Boden der nachmaligen Untersteiermark solche Marken: die Mark hinter dem Drauwalde um die ehemalige Römerstadt Poetovio (deutsch Pettau, slowenisch Ptuj) und die spätere Stadt Marburg (Maribor) sowie die Mark an der Sann um die ebenfalls auf eine römische Stadt zurückgehende Siedlung Cilli (Celje). Entscheidende Schritte zur Landeswerdung der Steiermark erfolgten, als 1147 die Mark hinter dem Drauwalde mit der nördlich davon gelegenen Mark an der mittleren Mur um Graz verbunden wurde, ehe Kaiser Friedrich I. Barbarossa dieses Land 1180 als Steiermark zum Herzogtum erhob. Es dauerte aber noch bis zum Ausgang des Mittelalters, bis die östlichen Teile der Landschaft in Feldzügen dem benachbarten Ungarn abgenommen wurden (13. Jh.), die Habsburger in den Besitz der nunmehrigen Grafschaft Cilli gelangten und der Steiermark ein Landstrich an der Grenze zu Kärnten einverleibt wurde (15. Jh.). Bedeutendste geistliche Grundherren waren die Erzbischöfe von Salzburg, welche das Gebiet um die „älteste steirische“ Stadt, das im 1. Jh. gegründete Pettau, besaßen.

Auch hinsichtlich der Siedlungsgeschichte und der ethnographischen Verhältnisse entsprach die Entwicklung in der Untersteiermark bis zum Ausgang des Mittelalters jener des gesamten steirischen Landes. Am Ende der Völkerwanderungszeit besiedelten slawische Stämme den südöstlichsten Teil des Alpenraumes und Pannonien; möglicherweise gehörte ein kleiner Teil der nachmaligen Untersteiermark zum slawischen Fürstentum Karantanien, welches vom 7. bis zum 9. Jh. bestand. Als die Karantaner in der zweiten Hälfte des 8. Jh. zunächst unter bairische, dann unter fränkische Oberhoheit gerieten, kamen auch die ersten bajuwarischen Siedler ins Land – Geistliche zur Christianisierung der Alpenslawen. Ab dem Anfang des 9. Jh. ersetzen bairisch-fränkische Adelige allmählich den karantanischen Adel und riefen Siedler aus bayrischen und fränkischen Gebieten. Ab dem 12. Jh. entstanden im steirischen Unterland Märkte und später Städte; viele Stadtbürger hatten ihre Ursprünge ebenfalls in deutschen Gebieten.

Slawen und Deutsche lebten in der Untersteiermark über weite Strecken friedlich nebeneinander und miteinander.

Der Austausch der städtischen Siedlungen mit viel bedeutenderen Städten des deutschen Sprachraumes war für ihre Entwicklung ebenso notwendig wie der Zuzug aus dem slawischen Umland. Der Gebrauch einer Sprache war im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit in der Regel sozial bestimmt: Der Klerus gebrauchte offiziell das Lateinische, das städtische Bürgertum für seine Rechts- und Verwaltungsakte das Deutsche, die Bauern slawische Dialekte; ab dem ausgehenden Mittelalter kann man von Slowenisch sprechen. Das bedeutet aber nicht, daß hier national einheitliche Gruppen streng voneinander getrennt gelebt hätten. In einer Hinsicht unterscheidet sich die Untersteiermark hingegen von den nördlicheren Teilen der Steiermark: Im 15. Jh. bildete sich eine slowenisch-deutsche Sprachgrenze aus, die auf steirischem Gebiet im wesentlichen bis heute besteht und mit geringen Abweichungen seit 1919 die jugoslawisch bzw. slowenisch-österreichische Staatsgrenze bildet – die Untersteiermark liegt südlich davon.

In der frühen Neuzeit war das Deutsche in den untersteirischen Städten die vorherrschende Sprache des Bürgertums, das bäuerliche Umland war slowenisch. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurde der Sprachgebrauch zum Kennzeichen einer nationalen Identifikation – hier deutsch, dort slowenisch – und zugleich zum Merkmal der Zugehörigkeit zu einem (national-)politischen Lager – (deutsch-)liberal oder (slowenisch-)konservativ. Die Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen nationalpolitischen Lager war dabei nicht immer von der Muttersprache bestimmt; so gaben Deutschfreiheitliche für die Landbevölkerung der nördlichen Untersteiermark eine in untersteirischem Slowenisch gedruckte Zeitung heraus. Eine gewisse Alltagszweisprachigkeit war nach wie vor vorhanden; freilich entwickelten sich in den letzten Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zwei nationale Gesellschaften. Trotz intensiver Bemühungen gelang es den Slowenen dabei nicht, im öffentlichen Leben die volle sprachliche Gleichberechtigung mit den Deutschen durchzusetzen. Die Volkszählung des Jahres 1910 ermittelte in der Untersteiermark etwa 400.000 Personen mit slowenischer und zirka 73.000 mit deutscher Umgangssprache; mehrheitlich deutsch waren die größeren Städte Marburg, Cilli und Pettau sowie einige kleinere Orte.

Im November 1918 übernahmen slowenische militärische und zivile Kräfte weitgehend kampflos die Untersteiermark.

Zwischen den neu entstandenen Staaten Deutsch-Österreich und Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat, ab 1929 Jugoslawien) umstritten war die Zugehörigkeit der nördlichen Untersteiermark um Marburg. Von Dezember 1918 bis Februar 1919 kam es zu einzelnen Scharmützeln zwischen deutschösterreichischen und SHS-Kräften; eine am 27. Jänner 1919 in Marburg abgehaltene Demonstration zugunsten Deutschösterreichs endete blutig („Marburger Bluttag“). Anders als in Unterkärnten gab es hier keine Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit; die österreichisch-jugoslawische Grenze wurde, weitgehend slowenischen Vorstellungen folgend, auf der Pariser Friedenskonferenz festgelegt.

In der Zwischenkriegszeit wurde das deutsche öffentliche Leben von den Behörden stark eingeschränkt. Als Amtssprache galt nur mehr das Slowenische, Schulen mit deutscher Unterrichtssprache wurden in slowenische umgewandelt, zahlreiche deutsche Vereine aufgelöst, die politische Betätigung von Deutschen behindert. Anderseits konnten die untersteirischen Deutschen ihre Vorrangstellung im wirtschaftlichen Leben weitgehend behaupten. Dennoch verließ nach 1919 ein Gutteil der Deutschen teils gezwungenermaßen die Untersteiermark.

Nach dem Jugoslawienfeldzug der Deutschen Wehrmacht im April 1941 wurde die Untersteiermark dem Reichsgau Steiermark angegliedert. Die Maßnahmen der NS-Verwaltung zielten auf die völlige Eindeutschung des Landes. Ein kleinerer Teil der Slowenen wurde ausgesiedelt; in der südöstlichen Ecke der Untersteiermark wurden Deutsche aus der an Italien gefallenen deutschen Sprachinsel Gottschee (Kočevsko) angesiedelt. Die „eindeutschungsfähige“ Masse der Slowenen sollte durch ausschließliche Geltung des Deutschen im öffentlichen Leben germanisiert werden. Gegen diese Politik regte sich unter den Slowenen verständlicherweise Widerstand, der sich in einem Partisanenkampf bis Mai 1945 steigerte.

Die Machtübernahme der kommunistischen Partisanen in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges bedeutete für die deutsche Volksgruppe beinahe das Ende.

Den behördlichen Gewaltmaßnahmen fielen tausende Deutsch-Untersteirer zum Opfer, wovon Massengräber trauriges Zeugnis ablegen; zahlreiche Deutsche wurden in Lager gesteckt, fast die gesamte deutsche Bevölkerung wurde schließlich vertrieben und enteignet. Erst mit dem Zerfall Jugoslawiens und der Entstehung der Republik Slowenien 1991 konnten sich einige deutsche Vereine gründen und ein bescheidenes deutsches Kulturleben wiederaufnehmen; eine Anerkennung als Volksgruppe durch den slowenischen Staat ist der Minderheit im Unterschied zu den Deutschen in Kroatien und Serbien jedoch bis heute versagt geblieben.

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