von Benedikt Kaiser
Kaisers Zone (33)
Leser dieser Kolumne dürften verinnerlicht haben, daß der Osten der Bundesrepublik Deutschland anders „tickt“. Mentalität, Alltagsbewußtsein und, darauf erst aufbauend, politische Vorlieben unterscheiden sich bisweilen markant von dem, was man aus dem Westen kennt. Daß dies Linken aller Couleur nicht schmeckt, ist altbekannt. Die Offenheit, mit der die Gründe für diese abweichende Ost-Identitätsbildung analysiert werden, ist hingegen neu.
Ein aktuelles Beispiel liefert die Wochenzeitung Jungle World. Das Berliner Leitorgan der „antideutschen“ und prowestlichen Linksszene mit personellen Verbindungen in die transatlantische Axel-Springer-Presse (Welt, Bild) reflektierte kürzlich in Ausgabe 3/2024 über die Frage, warum „in Ostdeutschland die AfD dominiert“. Der Jungle-World-Mitherausgeber Uli Krug steigt ein mit Reminiszenzen an die DDR-Historie, als in der Nationalen Volksarmee (NVA) ein „rotes Preußen“ kultiviert worden sei. Vielleicht hat Krug die entsprechende Eckart-Kolumne gelesen (Kaisers Zone 25, hier) – in jedem Fall zitiert er einstige Absolventen der Leningrader Militärakademie, d.h. NVA-Führungskräfte, die 1991 ihre Sympathien gegenüber dem einstigen altbundesdeutschen AfD-Vorläufer „Die Republikaner“ (REP) bekundeten. Sie erklärten, die REPs seien immerhin gegen den „Liberalismus amerikanischer Prägung“ und würden die Leistungen des roten Preußens mindestens in den Bereichen „Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit“ schätzen.
Uli Krug sieht hier – für einen transatlantischen Linken der BRD typisch – eine „antiwestliche“ Kontinuität am Werk, die eine „deutsche Ideologie“ darstelle. Die AfD knüpfe folglich dort an, wo die DDR-Führung, zumal jene der NVA, aufgehört habe: bei der Kritik des Westens als universalistischem Prinzip. Uli Krug bedauert dies und sucht die Ursache für die fehlende Verwestlichung des Ostens: Man hätte dort, zwischen Ostsee und Erzgebirge, keine „re-education“, also Umerziehung, erlebt; etwas, „das die West-Alliierten in der Bundesrepublik mühsam, aber auf die Dauer nicht ganz erfolglos vorantrieben“.
Was Uli Krug meint: Die Ideologie des DDR-Sozialismus’, die von Moskau aus den Staatsapparaten in Ostberlin implementiert wurde, blieb im Alltagsverstand der Menschen oberflächlich. Werte und Normen deutscher Kontinuitäten – NVA-Kader sprachen wie gezeigt von „Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit“ – wurden nicht überwunden, sondern „realsozialistisch“ in Anspruch genommen. Als die DDR verschied, überdauerten diese Werte folglich auch diesen deutschen Teilstaat, und heute knüpft dort erfolgreich die politische „Rechte“ an.
Krug zieht abschließend einen Vergleich, den er selbst als „heftig“ ankündigt: „Die AfD steigt nicht unbedingt dort zur gesellschaftlich alles dominierenden Partei auf, wo die Lebensverhältnisse am schlechtesten sind, sondern da, wo es keine re-education gab.“ Wenn das so ist, hat die „Zone“ historisch also doch wenigstens einmal Glück gehabt.
Benedikt Kaiser
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.