von Mario Kandil
Kalendarium Kandili (26)
Seit seinem Tod am 1. November 1903 sind 120 Jahre vergangen: Die Rede ist von Theodor Mommsen, dem herausragenden deutschen Altertumswissenschaftler und Historiker insgesamt des 19. Jahrhunderts. Gerne wird Mommsen wegen seiner „demokratischen Gesinnung“ heute von BRD-Geschichtspolitikern vereinnahmt – doch hat er solche „Freunde“ verdient?
Eingefleischte Bundesrepublikaner, die sonst fast jede historische Persönlichkeit demontieren, feiern Mommsen als „politisch denkenden Bürger“, der „für Einheit und Freiheit focht“, Otto von Bismarck heftig kritisierte und gegen den Antisemitismus kämpfte. Der am 30. September 1817 in Garding (Nordfriesland) geborene Theodor Mommsen – er hatte, mit einem Stipendium für antike Studien versehen, seine Passion für die Geschichtswissenschaft entdeckt und war seit 1848 als Professor für römisches Recht an der Universität Leipzig tätig – wurde in der Tat wegen Teilnahme am Dresdner Aufstand vom Mai 1849 zu einer Haftstrafe verurteilt, die er aber nicht absitzen mußte. Auch fand er sich 1851 wegen seiner Kooperation mit den Demokraten aus dem Hochschuldienst entfernt. In Züricher Exil verfaßte der Geschaßte seine mehrbändige Römische Geschichte und landete damit einen gewaltigen Erfolg. 1861 erhielt der zu großem Ruhm gelangte Mommsen an der Universität Berlin einen Lehrstuhl für Altertumskunde, machte sich aber wegen seiner Kritikresistenz bei den Studenten schnell unbeliebt.
Auch politisch rührig saß Mommsen einige Jahre lang im Preußischen Landtag und von 1881 bis 1884 als Liberaler sogar im Deutschen Reichstag, wo er Bismarck immer wieder attackierte. Daß er – im Gegensatz zum Historikerkollegen Heinrich von Treitschke, der sagte „die Juden sind unser Unglück“ – gegen die Judenfeindlichkeit eintrat, ehrt ihn, doch war Mommsen trotzdem kein verfrühter Bundesrepublikaner. Für Privates blieb ihm zwar wenig Zeit, doch war der überaus produktive Wissenschaftler – er schrieb rund 1.500 wissenschaftliche Abhandlungen – Vater von nicht weniger als 16 Kindern. Literaturnobelpreisträger wurde er 1902 auch noch – für „seine historische Darstellungskunst mit besonderer Berücksichtigung seines monumentalen Werkes Römische Geschichte“.
Theodor Mommsen war einer der ganz großen nicht nur deutschen Historiker und verkörperte den Typus eines Gelehrten, der heute kaum noch existiert: Denn ein nachplappernder Papagei – wie es heute so viele „Wissenschaftler“ sind – war er nie.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.