Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Streifzüge zwischen Main, Rhein und Donau

von Arnulf Helperstorfer

Die Gemeinde Aufseß in der Fränkischen Schweiz hält mit vier Brauereien bei rund 1.500 Einwohnern angeblich den Weltrekord für die höchste Brauereidichte pro Einwohner. Ein idealer Startpunkt für einen höchst abwechslungsreichen Streifzug zwischen Main, Rhein und Donau.

Die Gegend zwischen Bayreuth, Nürnberg und Bamberg wird nicht umsonst „Bierfranken“ – im Unterschied zu „Weinfranken“ rund um Würzburg – genannt. Während in anderen Teilen Deutschlands Kleinbrauereien unter dem Titel „Craft Beer“ mit teilweise höchst fragwürdigen Ergebnissen und hauptsächlich für ein urbanes, hippes Publikum gebraut eine Renaissance erleben, hat sich in der beschaulichen Fränkischen Schweiz eine traditionelle Kultur an kleinen Dorfbrauereien erhalten. Deren Biere sind dementsprechend nicht mit diversen, möglichst exotischen Gewürzen angereichert, sondern halten das Versprechen eines mit ehrlicher Braukunst nach dem Reinheitsgebot hergestellten, höchst bekömmlichen Getränkes. Als kulinarische Beilage zu diesem Biergenuß eignen sich ebenso traditionelle Speisen wie das typisch fränkische Schäufele – im Ofen gebratene Schweinsschulter, die mit Kartoffelknödeln und Sauerkraut gereicht wird.

Doch auch abseits dieser althergebrachten leiblichen Genüsse fühlt man sich hier in eine andere Zeit versetzt. Schnelligkeit und Hast verbieten sich bei der Wanderung durch die hügelige, von Bächen durchzogene und von sanften Wäldern gesäumte Landschaft. Die kleinen Ortschaften mit ihren gepflegten Vorgärten wirken angenehm aus der Zeit gefallen und scheinen mit trotzigem Stolz den Gegenentwurf zu lauten und hektischen Metropolen zu konservieren. Das gilt auch für so manchen Landgasthof auf dem Weg, sodaß sich insgesamt ein Landstrich präsentiert, an dem die „Segnungen“ des neuen Jahrtausends weitgehend spurlos vorübergegangen zu sein scheinen. Den Ausklang findet der Tag in der fast zweihundert Jahre alten Brauerei Krug mit seinem noch älteren Braugasthof bei einem frisch gezapften dunklen Lagerbier.

Der Kontrast könnte kaum größer sein zwischen der malerisch verschlafenen Landschaft der Fränkischen Schweiz und der Metropole Frankfurt am Main, dem oft als „Mainhattan“ titulierten Finanzzentrum Deutschlands. Nur wenige ältere Gebäude haben sich zwischen den Wolkenkratzern der deutschen Banken und einem Sammelsurium von anderen Neubauten gehalten. Der Weg in die Innenstadt ist ein Wechselbad der Gefühle, vorbei an den Obdachlosen und Drogensüchtigen am Bahnhof und der Bahnhofstraße, vorbei an hektischen Bankern und Geschäftsleuten, vorbei an unzähligen Baustellen ist es überall laut und staubig. Unübersehbar ist auch die massive Polizeipräsenz in der Multikultihauptstadt der BRD.

Der Römer mit seinen historischen Bauten im Stadtzentrum wirkt in diesem Wirrwarr seltsam fehl am Platz. Immerhin blitzt mit der Paulskirche und dem Kaisersaal ein Funken jenes alten Frankfurts auf, das die Stadt einst zur heimlichen Hauptstadt des alten Heiligen Römischen Reiches gemacht hat. Durchaus eindrucksvoll ist die „Neue Frankfurt Altstadt“, ein zwischen 2012 und 2018 entstandener Stadtteil, der eine vollständige Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg von alliierten Bombern zerstörten Gebäude ist. Den Höhepunkt dieses Ensembles bildet das „Haus zur Goldenen Waage“, ursprünglich ein prunkvolles Bürgerhaus mit Renaissancefassade aus dem frühen 17. Jahrhundert. Besonders empfehlenswert ist das 2021 eröffnete Deutsche Romantikmuseum direkt neben Goethes Geburtshaus, das einen breiten Streifzug durch Kultur, Politik und Wissenschaft der Romantik bietet.

Um auch dem kulinarischen Anspruch der Reise, an jeder Destination eine typische Spezialität zu verzehren, treu zu bleiben, wurde in Frankfurt Grüne Soße, eine Soße aus sieben Kräutern mit Pellkartoffeln und harten Eiern sowie als Nachspeise ein Frankfurter Kranz verzehrt.

Wer nicht unbedingt dem Trubel eines der Frankfurter Clubs frönen möchte, kann den Abend an einer Trinkhalle ausklingen lassen. Diese ursprünglich im 19. Jahrhundert als Wasserhäuschen errichteten Kioske sollten die Bevölkerung animieren, mehr Wasser als Bier und Schnaps zu trinken; heutzutage sind sie ein abendlicher Treffpunkt bei einem Bier oder Apfelwein. Den Freunden der Kneipen mit kuriosem Charme sei die „Gute Stute“ am Gallus empfohlen, in dem der Gast beim Betreten vom Wiehern einer ausgestopften Stute im Gastraum begrüßt wird.

Vom Main geht es an den Rhein nach Bonn. Am ehemaligen Regierungssitz der BRD ist wieder  Ruhe eingekehrt. Unübersehbar geprägt ist Bonn von seiner Zugehörigkeit zum Kurbistum Köln im 17. und 18. Jahrhundert und danach zu den Preußischen Rheinprovinzen im 19. Jahrhundert. Die Kölner Erzbischöfe gestalteten die Stadt nach dem Spanischen Erbfolgekrieg mit ungeheuren Finanzmitteln zu einer prächtigen Barockstadt um. Die Preußen gründeten 1818 die Bonner Universität; die Stadt wurde damit sowohl zur Studienstadt ihrer Prinzen und vieler anderer Hochadeliger als auch im Vormärz zu einem Kristallisationspunkt für rebellische Studenten, die sich insbesondere in den verbotenen Burschenschaften sammelten. Aber auch für Freunde der Antike hat Bonn einiges zu bieten. Überall in der Stadt verstreut findet man Hinweise auf das alte Römerlager „Castra Bonnensis“, und auch das Rheinische Landesmuseum bietet interessante Ausstellungsstücke aus dieser Zeit.

Die ehemalige Zugehörigkeit zu Köln manifestiert sich auch im Ausschank von Kölsch, das sehr gut zu „Himmel un Ääd“ (Himmel und Erde) paßt. Dabei wird Blutwurst auf Kartoffelpüree (Erde) und Apfelstücken (Himmel) serviert.

Von Bonn ist es nur ein Katzensprung nach Düsseldorf. Wer sich für die Entstehung und Frühgeschichte des Menschen interessiert, kann dabei einen Abstecher ins Neandertal machen, um das gleichnamige Museum und die nahegelegene Fundstätte dieses Zweiges unserer Vorfahren in Augenschein zu nehmen.

Düsseldorf war wohl die größte Überraschung des Streifzuges im positiven Sinn. Der ehemalige „Schreibtisch des Ruhrgebietes“ – viele Kohle- und Stahlunternehmen hatten dort ihren Verwaltungssitz – ist mitnichten eine alte abgehalfterte ehemalige Industriestadt. „Jan Willem“, der Wittelsbacher Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, thront nicht zu Unrecht auf einem eindrucksvollen Denkmal in der Innenstadt, hat er Düsseldorf doch zu einer prächtigen Residenz ausgebaut. Wie auch in Bonn, hat man in Düsseldorf die meisten Spuren des Zweiten Weltkrieges aus dem Stadtbild getilgt, sodaß die Rheinmetropole in altem Glanz erstrahlt.

Düsseldorf ist aber auch die richtige Örtlichkeit für alle Freunde des Nachtlebens. Am Wochenende ist die gesamte Innenstadt bis zu den Ufern des Rheins eine einzige große Feierzone. Von traditionellen Altbierkneipen, einer eigenen Lokalität nur für den Düsseldorfer Kräuterschnaps „Killepitsch“ über Bars und Pubs bis hin zu Speiselokalen aller Art ist für jeden Nachtschwärmer etwas dabei.

Durch die Nähe zum Ruhrpott bietet sich der Besuch einer alten Industrieanlage geradezu an. Die ehemalige Zeche Zollverein war bis zu ihrer Schließung 1986 eine der größten Steinkohlegruben Europas und bildet mit der angeschlossenen Kokerei ein Industriedenkmal ersten Ranges. Das Areal ist frei begehbar; Kokerei und Förderturm können aber nur mit Führung besichtigt werden, was sehr empfohlen werden kann. Es ist ein Eintauchen in eine völlig fremde Welt, die aber über mehr als hundert Jahre für tausende Kumpel Zentrum ihres Lebens war. Inmitten der alten Kokerei kann man sich bei einer ortsüblichen Currywurst stärken – wohl einer der ungewöhnlichsten Plätze für ein Ausflugslokal.

Vom dicht besiedelten Rheinland mit seinen feierwütigen Einwohnern geht es zur letzten Station der Reise nach Passau an die Donau. Für Österreicher ist Passau eine besondere Stadt, war sie doch nach den Wirren der Völkerwanderung Ausgangspunkt der christlichen Remissionierung und der damit einhergehenden Inbesitznahme Ober- und Niederösterreichs durch die Baiern; es ist kein Zufall, daß die Dome Wiens und Budapests ebenso wie der Passauer Dom dem Heiligen Stephan geweiht sind. Am Zusammenfluß der Ströme Donau, Inn und Ill gelegen zählt Passau zu den schönsten Städten Bayerns. Wenn man von der kleinen Innenstadt Richtung Bahnhof schlendert, kommt man sehr bald zu einem steinernen Löwen, der die Grenze des alten unabhängigen Fürstbistums Passau hin zum Herzogtum Bayern markiert; das Fürstbistum selbst bestand damit nur aus der Altstadt auf der Landzunge zwischen den Flüssen und einem Stück des Gegenufers und ist damit ein interessantes Beispiel für die kleinen Herrschaften des Alten Reiches. Im Jahr 1683 erlangte Passau erneut große Bedeutung für die österreichischen Lande. Leopold I. war vor den anrückenden Osmanen nach Passau ausgewichen, sammelte dort den deutschen Teil des Entsatzheeres und nahm auch Prinz Eugen in Passau in seine Dienste, woran eine Gedenktafel erinnert. Und mit gutem bayrischen Bier und einer zünftigen Schweinshaxe wurde der Besuch in Passau und damit auch der Streifzug zwischen Main, Rhein und Donau beschlossen!

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