Wikimedia Commons, Werner 100359

Stille Nacht!

von Ronald Schwarzer, Impresario, Waldgänger & Partisan der Schönheit

Die Überlandpartie

D ie zu dieser Stunde für gewöhnlich bereits leicht angetrunkene Festgemeinde schart sich um den Lichterbaum, dessen Kerzen einzig für diesen Moment entzündet werden, sofern nicht überhaupt eine elek­trische Lichterkette zum Einsatz kommt. Nun versuchen sie, DAS LIED zu singen. Durch die erste Strophe stolpert man noch weitgehend textsicher, in der zweiten Strophe werden so viele unterschiedliche Texte gegeneinander gesungen, daß man schließlich aufgibt und sich dem Aufreißen von Geschenkverpackungen hingibt. Das ist in weiten Kreisen des Vaterlandes das einzige, das von der Feier der Heiligen Nacht, der Ankunft des Christkinds, geblieben ist. Besagtes ereignet sich freilich nur, wenn der exotische Migrationshintergrund der Landsleute nicht allzu dominant ist.
Stille Nacht ist eines der bekanntesten Lieder überhaupt und existiert in mehr als 350 Übersetzungen. Vielerlei Legenden ranken sich um seine Entstehung, und bis zur Mitte des 19. Jh. galt es als traditionelles Tiroler Volkslied. Der Zufall wollte es, daß es das Lieblingslied des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. war und ihm von der preußischen Hofkapelle immer wieder zu Gehör gebracht wurde. Eben diese preußische Hofkapelle bemühte sich nun im Auftrag des Königs, den Ursprung dieses Liedes herauszufinden. Über Umwege stieß man dann auf den Komponisten Franz Xaver Gruber, der daraufhin die Authentische Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes „Stille Nacht, Heilige Nacht“ handschriftlich verfaßte. Der Textdichter, Pfarrer Josef Franz Mohr, war zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Jahren tot.

Alles begann im Salzburger Armenhaus.

Mit diesem freilich hat alles begonnen. In der Steingasse in Salzburg, im Armenhaus, wurde Mohr als drittes uneheliches Kind der armen Strumpfstrickerin Anna Schoiber geboren. Einzig der Henker von Salzburg, Franz Josef Wohlmuth, fand sich bereit, die Kosten für die Taufe zu übernehmen. Aber der Knabe zeigte Begabung. Dies fiel dem Salzburger Domvikar Johann Nepomuk Hiernle auf, und ob dessen musikalischen Talentes brachte er Josef Franz in den Knabenchor von St. Peter. Dort lernte der Kleine auch Gitarre und Violine. Sein wacher Geist ermöglichte ihm später mit einem Stipendium der Kirche den Eintritt in das Stiftsgymnasium Kremsmünster und anschließend das Theologiestudium, die Weihe erhielt er am 21. August 1815.
Sogleich sollte er seine erste Stelle als Hilfspfarrer antreten, und man sandte ihn nach Maria Pfarr im Lungau, woher sein leiblicher Vater stammte und wo er erstmals seinen sechsundachzigjährigen Großvater kennenlernte, den Bader der Ortschaft. Und da hatte Josef Franz Mohr ihn zum ersten Mal bewußt vor Augen, den „holden Knaben im lockigen Haar“, und er brachte ein schlichtes Gedicht in neun Strophen zu Papier. Zwei Jahre später versetzte ihn der Erzbischof nach Oberndorf im Flachgau. Mit dem dortigen Dorfschullehrer, Hilfsorganisten und Gelegenheitskomponisten Franz Xaver Gruber verstand er sich gleich, und für die Krippenfeier der Heiligen Nacht 1818 bat er diesen, sein bescheidenes Gedicht in Töne zu setzen. Die ebenso schlichte Melodie im 6/8-Takt als Hirtenmusik in herzerwärmender D-Dur ging diesem leicht von der Hand.

Pfarrer Mohr spielte die Gitarre und sang die Tenorstimme, Lehrer Gruber den Bariton. Die Orgel der Schifferkirche in Oberndorf war nämlich in erbärmlichem Zustand. So rief man auch bald den Zillertaler Orgelbauer Karl Mauracher. Der fuhr vielleicht mit dem reichsten Lohn, den je ein Orgelmacher für seine Dienste erhalten hat, zurück nach Fügen, nämlich mit dem Lied Stille Nacht, Heilige Nacht. Schon im folgenden Jahr wurde es dort nach der Christmette gesungen. 1822 sangen im Kaiserzimmer von Schloß Fügen die Geschwister Rainer das Lied vor dem österreichischen Kaiser und dem russischen Zaren.
Gerade die Schlichtheit und das fromme Herz des Stückes berührt den Rest an Frömmigkeit in allen Herzen. In der Kriegsweihnacht 1914 sangen es deutsche und britische Soldaten über die Frontlinien hinweg, und selbst Roosevelt und Churchill versuchten sich in Washington gemeinsam daran. Bing Crosby schmierte das Lied mit Schmalz zu und erreichte mit 30 Millionen verkauften Schallplatten den größten Erfolg seiner Karriere. Seine Version ist es auch, die heute durch Rundfunkkanäle und Kaufhaustempel wabert. Die Kirche in Oberndorf, wo das Lied erstmals erklang, existiert schon lange nicht mehr. Die Krippe aber von der ersten Stillen Nacht – die gibt es noch in Ried in Innkreis. In unseren Herzen steht sie freilich immer – wenn wir der Heiligen Familie die Türe öffnen!

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