von Benedikt Kaiser
Ilko-Sascha Kowalczuk, der derzeit massenmedial präsenteste Historiker aus dem Osten der Bundesrepublik Deutschland, hat bei X vormals Twitter eine gewagte These in den Raum gestellt: Angesichts des Vorhabens Donald Trumps, als US-Präsident eine positive, bejahende, durchaus „nationale“ Geschichtsschreibung zu bevorzugen – gegenüber einer negativen, verneinenden, durchaus selbstkritischen Form –, reagierte Kowalczuk zornig. Der linksliberale Deutschukrainer formulierte in einem „Tweet“ den Zeitpunkt für „eine Diktatur im Aufbau“. Zu erkennen sei eine solche wie folgt: „Wenn Herrschende beginnen, der Gesellschaft ihr eigenes Geschichtsbild aufzuzwingen.“ Nun, das alterte schlecht. Denn die Bundesrepublik Deutschland, 1949 gegründet, hat von vornherein in sämtlichen „ideologischen Staatsapparaten“ – von Schulen bis Universitäten, von Medien bis Interessenverbände – einen klaren Standpunkt im Bereich der Geschichtsschreibung, der Historiographie, eingenommen: jenen der Vergangenheitsbewältigung, des „deutschen Sonderweges“, der Absage ans Preußentum, der Überwindung des Volksgedankens, der Selbsteinpassung in den „freien Westen“ usw. Wer sich dieser autochauvinistischen Westbindungsideologie entgegenstellt, und sei es moderat oder auch nur in bestimmten Themenbereichen wie z.B. dem Gedenken an den westalliierten Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung, wird seit jeher mit gesellschaftlicher Stigmatisierung, Verfassungsschutzbeobachtung und teils sogar mit Gerichtsprozessen „beehrt“.
Ein aktuelles Beispiel kommt – ausgerechnet – aus Sachsen. „Ausgerechnet“ heißt es an dieser Stelle deshalb, weil Sachsen wohl jenes Bundesland der BRD darstellt, in dem patriotische Empfindungen und Verortungen am stärksten im Alltagsverstand der Menschen verhaftet sind. Das macht sich einerseits daran bemerkbar, daß die AfD bei fast 40 Prozent steht, andererseits daran, daß man in vielen Regionen des Freistaates just das vorfindet, was linke Wissenschaftler eine „rechte Alltagshegemonie“ nennen. Und dennoch: Ebendort, zwischen Vogtland und Niederschlesien, haben die Altparteien, um Kowalczuk zu paraphrasieren, es fortgesetzt, „der Gesellschaft ihr eigenes Geschichtsbild aufzuzwingen“.
Es geht um den 8. Mai 1945, der als Tag des Zusammenbruchs sicherlich ambivalent einzustufen ist; eine Schwarz-Weiß-Zeichnung verbittet sich angesichts der unterschiedlichen subjektiven Erlebnisse, die mit dieser Zäsur verbunden sind. Doch die Linkspartei, im Landtag trotz ihres Scheiterns an der Fünfprozenthürde dank der „Grundmandatsklausel“ vertreten – sie sahnte im roten Leipzig ab –, erreichte eben mit einer perfiden Schwarz-Weiß-Deutung ihren größten geschichtspolitischen Erfolg überhaupt: Ihr Fetischobjekt „Tag der Befreiung“ wurde durch Beschluß im Sächsischen Landtag offiziell zum „Gedenktag“ erklärt. Wohlgemerkt: Daß ein Gesetzentwurf der Linken im Dresdner Landesparlament eine Mehrheit findet, gab es seit 1990 nicht.
Daß es einen solchen antifaschistischen Triumph gibt, liegt fast im Alleingang an der CDU. Die Schwarzen verzichten nun auf die Trennlinie zur Linkspartei, die bisher galt, um sich fortan weiterhin stabile buntscheckige Mehrheiten gegen den starken AfD-Block zu sichern. Die Tageszeitung nd, ehemals: Neues Deutschland, die der Linkspartei nahesteht, wertet die CDU-Kollaboration korrekt als „eine deutliche Charmeoffensive in Richtung der Linken“. Einen wahrnehmbaren Widerstand aus der Christdemokratie, die sich in Sachsen als heimatverbundene und tendenziell konservative Kraft inszeniert, gab es dazu nicht. Lediglich die Splittergruppe „Heimatunion“ innerhalb der sächsischen CDU meldete sich symbolpolitisch zu Wort; es handle sich um eine „geschichtsvergessene Entscheidung“. In der Tat: Denn Die Linke, der die CDU zur Mehrheit verhalf, begründete ihre 8. Mai-Verherrlichung explizit mit der Bemerkung, daß an jenem Tag „in Europa endlich Schluss mit dem Töten, Verstümmeln, Zerstören“ gewesen sei.
Eine groteske und infame Lüge. Am 8. Mai war nicht „Schluss“.
Vielmehr folgten überall in Mittel- und Osteuropa millionenfache Vertreibungen, Massenmorde und Vergewaltigungen. Dies zu leugnen oder gar zu verherrlichen steht sinnbildlich für den Zustand der bundesdeutschen Verfallslinken, die das Volk negiert und die Geschichte verfälscht. Daß sie dies machtpolitisch durchsetzen kann, weil in der opportunistischen Christdemokratie ausreichend willfährige Helfershelfer ohne politisch-historischen Kompaß bereitstehen, sollte der sächsischen AfD-Spitze, die seit Jahren so devot wie erfolglos um CDU-Kooperationen bittet, endlich zu denken geben.
Benedikt Kaiser
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.