Sachsen und die Zuwanderung

von Benedikt Kaiser

Kaisers Zone (10)

Spricht man mit Westdeutschen oder Österreichern, vernimmt man oft eine interessante Grundannahme in bezug auf Sachsen: Dort gebe es zwar noch alte SED-Kommunisten und viel Atheismus bzw. Kirchenferne – aber in Sachen „Überfremdung“ sei der Freistaat unbefleckt, so heißt es. Allein: Dieser Mythos stimmt nicht.

Gewiß: Im Vergleich zu einigen Stadtteilen in Wien oder Graz, Berlin oder Hamburg sind Leipzig und Dresden noch relativ stark von Einheimischen geprägt. Aber auch dort gibt es bereits Schwerpunktgegenden migrantischer Dominanz – in Leipzig z. B. rund um die berüchtigte Eisenbahnstraße, in Dresden um die Prager Straße. Der Ausländeranteil in Sachsen schwankt dementsprechend, wobei die Tendenz klar nach oben zeigt: In Leipzig liegt er schon bei 10,6 Prozent, im ländlichen Raum, ob in Görlitz, im Erzgebirge oder in Nordsachsen, schwankt er zwischen 2,5 und 5,2 Prozent.

Jenseits der objektiv sichtbaren und subjektiv gefühlten Veränderung des Stadtbildes sprechen einige harte Fakten dafür, daß Multikulti in Sachsen Einzug gehalten habe. Die Chemnitzer „Freie Presse“ berichtete Mitte Februar: „Die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in Sachsen hat sich nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in sieben Jahren fast verdreifacht. Die Migration aus Syrien im Jahr 2015 und aus der Ukraine im Jahr 2022 hat dazu beigetragen. Gleichzeitig ist in Sachsen der Anteil der arbeitslosen Ausländer an den nicht erwerbstätigen Personen stark gestiegen. Im Jahr 2022 waren es 19 Prozent.“

Das Zuwandererfeld wird angeführt von Tschechen und Polen – im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend, da Sachsen an beide Staaten grenzt. In aller Regel handelt es sich bei tschechischen und polnischen Gastarbeitern um positiv empfundene Zuwanderung; Konflikte gibt es fast nie. Das verhält sich anders mit Zuwanderung aus Afghanistan, dem arabischen oder nordafrikanischen Raum. Merkwürdig scheinen schon allein deshalb Einbürgerungszahlen des Statistischen Bundesamtes: Ein Pole muß im Durchschnitt 13,8 Jahre in Deutschland leben, um einen deutschen Paß zu erhalten, ein Tscheche 14,6 Jahre; Syrer aber benötigen nur 6,5 Jahre. „Die übliche Acht-Jahre-Frist bis zur Einbürgerung“, berichtet die „Freie Presse“ lakonisch, „kann im Falle besonderer Integrationsleistungen verkürzt werden.“ Angesichts der Migrationslage in Sachsen und darüber hinaus: Wer versteht derlei Zahlen, derlei Gewichtungen? Viele Sachsen jedenfalls nicht.

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

Beitrag teilen

Facebook
Twitter
Email
Telegram
Print