Ein Gespräch mit Monsignore Joachim Schroedel
Konrad Markward Weiß: Wir befinden uns in Ihrer Heimatstadt Mainz. Nicht nur geographisch ist es ein weiter Weg von hier nach Kairo, wo Sie seit Jahrzehnten Ihren Lebensmittelpunkt haben. Wie kam das?
Monsignore Joachim Schroedel: Ich habe in Jerusalem mein Freisemester gemacht, und das war ein Schlüsselerlebnis. Diese Zeit hat mich sehr stark geprägt. Ich wurde dann Priester, dann Religionslehrer in Bad Nauheim und habe auch in der Lehrerfortbildung gearbeitet. Dort kam ein Kollege auf mich zu, der sagte: „Ihnen merkt man an, daß der Nahe Osten eine besondere Region für Sie ist – Sie sind ganz begeistert davon, und dieser Funke springt über. Wir haben einen Religionslehrerkollegen in Kairo, dort suchen sie seit Jahren einen deutschsprachigen Pfarrer“. Mein Bischof Kardinal Lehmann in seiner Weisheit sagte dann: „Ich kann mir vorstellen, daß das etwas für Sie ist, gehen Sie mal los“. Inzwischen bin ich das 27. Jahr in Ägypten.
Wie gestaltet sich dort ihre Arbeit?
Es ist ein riesiges Gebiet, das ich betreue, als einziger deutschsprachiger römisch-katholischer Priester: die Levante-Staaten fast komplett, dazu Ägypten, der Sudan und Äthiopien, praktisch bis an den Victoriasee. Das verlangt sehr viel Planung, Logistik und gute Kontakte zu den örtlichen deutschsprachigen Katholiken.
Sie sind also als eine Art Wanderpriester unterwegs gewesen?
Ja, das klingt sehr romantisch, aber in der Tat, ich hatte keinerlei Mitarbeiter, und so war es immer auf mich fokussiert. Der Priester beschenkt die Menschen mit den Sakramenten der Kirche, von Anfang bis Ende, von der Taufe bis zur Letzten Ölung – deshalb war es wichtig, immer zu wissen, wer gerade was benötigt. Ich mußte z.B. sehr genau schauen, wie ich die Kinder für die Erstkommunion vorbereiten kann. Das war für Kairo kein Problem, aber für Syrien, Jordanien oder gar Äthiopien eine ganz, ganz schwierige Gestaltung. Aber es hat immer wieder gut geklappt.
Wie darf man sich einen solchen „Ausritt“ konkret vorstellen?
Ich bin z.B. morgens nach Amman geflogen, hab dort Leute besucht, die heilige Messe gehalten, den Abend verbracht, mit einem Vortrag vielleicht, und bin am nächsten Tag zurückgeflogen. Etwas ganz anderes ist z.B. Addis Abeba: Das ist von Kairo so weit entfernt wie Kairo von München. Da muß man natürlich sorgfältig planen und mindestens eine Woche bleiben, damit es sich lohnt.
Gab es in diesen teilweise sehr streng islamischen Ländern kritische Situationen, ob auf der Straße oder mit Würdenträgern und Machthabern ?
Nein. Aber dafür gibt es einen Grund: Ich habe nie verleugnet oder verheimlicht, daß ich römisch-katholisch bin und daß mein Ziel ist, die deutschsprachigen Katholiken zu betreuen. Ich habe eigentlich mit den Menschen auch muslimischen Glaubens immer gute Erfahrungen gemacht, immer dann, wenn man sich klar positioniert hat, und die Erfahrung, daß durch diese klare Positionierung der andere viel mehr Respekt vor mir und vor unserer Kirche hat, als wenn ich locker herumscharwenzeln würde und sage, „Wir sind ja irgendwie alle eins, wir glauben alle an Gott, und das ist doch schon mal super“. Nein, das wollen sie dort nicht hören. Sie wollen prononciertes und klares Christentum erleben und nicht irgendetwas Weichgespültes.
Betraf das auch Ihre Kleidung, die Soutane? Ist das auch ein Prinzip?
Das ist ganz wichtig. Man sollte nach außen zeigen, wer man ist, und wenn man sich die orientalischen oder nordafrikanischen Regionen anschaut – dort definiert man sich auch durch die Kleidung. Auch heute noch sehe ich das, wenn ich in Kairo auf die Straße gehe, mit Soutane, und auf der anderen Straßenseite kommt ein Scheich. Wir beide erkennen uns, obwohl wir uns nicht kennen – aber ein freundliches Lächeln ist immer drinnen, manchmal sogar ein Gespräch.
Das heißt, bei aller Differenz, die Männer Gottes genießen einen gewissen Respekt auch auf der jeweils anderen Seite?
Und mehr noch: Ich erlebe sogar Muslime, die zu mir kommen, persönlich oder über WhatsApp oder Facebook, und die mir schreiben „Abuna, bitte beten Sie für mich“. Sie haben ja gerade gesagt „Männer Gottes“ – das ist etwas, was einen Muslim auszeichnet, seine Hochachtung gegenüber eben diesen Männern Gottes. Ich bin in den Augen eines Muslims ein Heide oder ein Ungläubiger. Dennoch ist dieses Phänomen klar: Das ist ein Mann Gottes – und man weiß ja im Letzten nicht, was Gott vorhat, Gott ist Gott, das muß er dann bestimmen.
Was selten geworden zu sein scheint, ist die Mission im ursprünglichen Sinne. Wie darf man sich das mittlerweile in Afrika vorstellen? Hat die katholische Kirche diesen Anspruch überhaupt noch?
Der Heilige Vater Papst Franziskus hat in den ersten Jahren seines Wirkens sehr davor gewarnt, Menschen zwangszumissionieren. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, daß wir das nicht tun, und ich denke, für jeden normalen katholischen Priester oder Bischof auch. Das ist aber zu unterscheiden von dem, was der Heilige Vater auch immer wieder sagt : „Wir müssen die Botschaft an die Grenzen der Erde bringen“. Ja, der Missionsauftrag „geht in alle Welt und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“, steht in der Bibel. Also kann man nicht sagen, das schaffen wir jetzt mal ab.
Ein großer Teil ihres Berufslebens hat sich an einer deutschen Schule in Kairo vollzogen.
Inzwischen gibt es in Ägypten acht deutsche Schulen. Die Borromäerinnen haben heute zwei Mädchenschulen, eine in Alexandria und die andere in Kairo, jeweils etwa 750 Mädchen werden dort unterrichtet. Diese Schule ist für mich immer das Rückgrat meiner Arbeit gewesen, die Schwestern. Dort feiere ich die Messen für sie und die christlichen Schülerinnen. Ich stehe bereit für Beichtgespräche oder Beratungen. Fast täglich kommen Mädchen zu mir und sagen „Abuna, ich hab ein Problem, kann ich mal mit Ihnen reden“. Es ist schön, daß ich das auf Deutsch tun kann, weil die Schülerinnen vom Kindergarten an Deutsch lernen. Außer Arabisch, Heimatkunde und Religion findet der gesamte Unterricht auf Deutsch statt.
Wie würden sich die Dinge in Ägypten für jemanden gestalten, der Moslem ist und katholisch werden möchte?
In Ägypten heißt es, eine der Quellen der Rechtsfindung sei die Scharia. Und die ist ganz klar: Wer den Islam verläßt und einer andere Religion anhängt, ist Heide geworden, der fällt vom Glauben ab – und nach der Scharia steht darauf die Todesstrafe. Das wird natürlich nicht angewandt in Ägypten, aus verständlichen Gründen; auch durch die Vernetzung mit Europa wäre das eine Unmöglichkeit. Trotzdem: Offiziell gibt es keine Konversionen. Es gibt zwar immer wieder Menschen, die Christen werden. Die können dann aber nicht in Ägypten bleiben und müssen auswandern.
Was veranlaßt muslimische ägyptische Eltern, ihre Töchter in die deutsche Schule zu geben?
Deutschland, die deutschsprachigen Länder, haben einen hervorragenden Ruf im Nahen Osten. Weil immer noch gesagt wird, „die Deutschsprachigen, die haben so eine Art von Leben, an dem wir uns messen können“. Pünktlichkeit, Verläßlichkeit, Sauberkeit, die Bereitschaft, den Armen zu helfen, Klarheit im Denken, kritisches Denken – das sind Eigenschaften, die hochgeschätzt sind von intellektuelleren Familien. Mädels, die bei uns ihr Abitur machen, sind wirklich mit allen Wassern des Nils und des Rheins und der Donau gewaschen, weil sie das alles kennen. Von diesen Menschen wird niemals ein Terrorist ausgehen. Es ist wirklich eine große Gabe, die die Schule jedes Jahr schenkt, wenn sie 20-30 Mädchen mit Reifezeugnis entläßt und sagt: „Ihr seid jetzt nicht nur fähig, an jeder deutschen oder österreichischen Universität zu studieren, sondern ihr seid unsere besten Botschafter in Ägypten, weil ihr irgendwie auch Deutsch seid“.
Und dann haben Sie auch noch ein „privates“ Projekt …
Vor etwa 40 Jahren hat eine Schwester Maria Grabis „Müllmenschen“ kennengelernt, Menschen, die buchstäblich mit dem Müll und aus dem Müll leben. Sie sammeln den Müll. Sie sortieren ihn. Das Organische wird den Tieren gegeben, meistens Schweinen; und die Müllmenschen sind Leute, die mit Schweinen zu tun haben dürfen, also Christen, weil Muslime ja keine Schweine halten dürfen. Schwester Maria sah die Not, die dort herrschte, in Moytamadeia, einem Stadtteil von Kairo, und hat Geld gesammelt, um Wohnungen zu bauen, eine Schule, eine Nähschule. Es ist eine ägyptische Institution nach ägyptischem Recht. Und ein Abuna, ein Pfarrer, spielt bei den Christen in Ägypten eine besondere Rolle. Ich widme mich sehr gerne diesen Menschen. Ich versuche auch, Gelder zu akquirieren, wenn es irgendwie geht, aus Europa. Wenn man erlebt, wie Menschen buchstäblich aus dem Müll gezogen werden, ist das eine wunderschöne Erfahrung, und es lohnt sich, jeden Cent dafür einzusetzen.
Danke für das Gespräch!
Spenden zugunsten der „Müllmenschen“ von Moytamadeia: Joachim Schroedel
IBAN: DE02 5457 0024 0359 9008 00
BIC: DEUTDEDB545