Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

„Ostmullen-Dienstag“

von Benedikt Kaiser

Es gibt in den „Sozialen Netzwerken“ Trends, die muß man nicht verstehen. Oft sind sie völlig apolitisch und verschwinden ebenso schnell, wie sie kamen; eine Auseinandersetzung, zumal schriftlicher Art, lohnt mit derlei flüchtigen Erscheinungen tendenziell nicht. Was hat es aber nun in der „Zone“ mit dem „Ostmullen-Dienstag“ zu tun, der einem bei „X“ (ehedem Twitter), TikTok und anderswo begegnet, ob man das möchte oder nicht? Das fragten mich nicht nur Konrad Markward Weiß, Schriftleiter des ECKARTs, sondern auch Freunde aus der Steiermark. Und das fragen sich mittlerweile auch linke und liberale Journalisten deutschlandweit – denn diese „Ostmullen“ scheinen irgendwie „rechts“ zu sein, jedenfalls: Antimainstream.

Das Flaggschiff des linksgrünen Bürgertums in der BRD, die taz, faßt das Phänomen „Ostmulle“ so zusammen: „Sie hat Piercings, rasierte Seiten und Gesichtstattoos. Sie trägt die szenetypische Jacke von Helly Hansen oder Adidas. Nein, sie ist eher kein Berlin City Girl, sondern ein Bautzen City Girl, ein Chemnitz City Girl oder ein Cottbus City Girl. Die Rede ist von der ‚Ostmulle‘, die in rechten Internetkreisen in Deutschland gerade zum Trend geworden ist.“

Zwei Wörter stecken in „Ostmulle“: „Ost“ ist selbsterklärend, denn wir haben es hier mit jungen selbstbewußten Frauen aus dem heutigen Ostdeutschland zu tun. „Mulle“, schon weniger klar, ist ein durchaus abwertend und fürchterlich klingender Begriff für weibliche Wesen, der – auch das noch! – aus dem Westen, aus dem Ruhrpott gar, in den Osten importiert wurde.

Eine „Ostmulle“ ist nun, zusammengefaßt, eine rebellische, provokant auftretende und in Videos oft Rechtsrock konsumierende ostdeutsche junge Frau, die Land und Leute im Internet begeistert – oder auf die Palme bringt. Die taz argwöhnt: „Die Ostmullen präsentieren sich als Gegenmodell zum liberalen Westbürgertum. Selbstbewusst, ostdeutsch, rotzig, rechtsextrem.“

Aber was ist, angesichts von Geschmacksfragen habitueller, ästhetischer und musikalischer Art, davon zu halten?

Martin Sellner hat bei „X“ einen „massiven metapolitischen Dammbruch“ diagnostiziert: Mädchen und junge Frauen, die offen rechts seien und sich mit Gesicht im Netz präsentierten, würden dem linken Hegemon den sprichwörtlichen „Mittelfinger“ zeigen – der Algorithmus tue sein übriges; er beweise jeder einzelnen dieser Frauen: Ihr seid nicht allein, es ist ein starker Trend, „rechts“ und „gegen links“ zu agitieren. Nicht nur Jungs würden vorangehen voran, nicht nur Jungs könnten „dagegen“ sein! Das öffne Perspektiven auch für andere rechtsoffene Jugendgruppen und -trends.

Götz Kubitscheks Ehefrau Ellen Kositza widersprach und verwies auf soziale und klassenpolitische Hintergründe: „Ostmullen“würden ihr zufolge oft aus sozial zerrütteten Verhältnissen stammen und wenig Ordnung und Halt kennen. Sie seien das sichtbar gewordene Klischee-Gegenteil zum „Tradwife“-Trend, also zur Apotheose der jungen Frau als ländlich geprägter Dame, deren höchste Selbstverwirklichung die Mutterschaft sei – was bei der „Ostmulle“ schwer vorstellbar bleibt. Dazu passend ein letztes Mal die taz, die darauf verweist, daß eine „Ostmulle“ eben „nicht am Herd, sondern eher bei Dynamo Dresden in der Kurve“ steht.

Sellner und Kositza treffen beide einen Punkt: Der linke Hegemon verliert längst die Kontrolle über die Kinderzimmer, aber diese liegen – überwiegend, definitiv nicht ausschließlich – in sozial „schwierigeren“ bis materiell prekär lebenden Haushalten, klassischer gesagt: in proletarischen und subproletarischen Kontexten, jedenfalls in nichtbürgerlichen, nichtakademischen Habitaten.

Auffällig ist jedenfalls, daß die Mädchen und jungen Frauen, die im Hintergrund Einblicke in ihre Kinderzimmer gewähren, bevorzugt zu Reichsfahnen, Fußballbezügen und rechten Aufklebern neigen. In der linken Wochenzeitung der Freitag, einst als Sonntag das kulturell-intellektuelle Vorzeigeblatt der DDR, argwöhnt man denn aufgrund der Dekovorlieben auch, daß die Ost-Eltern hier Bescheid wissen müssten. Mehr noch: Man vermutet gar, daß das „Rechte“ von den Eltern auf die Kinder, konkret auf die Mädels, übergegangen sei. Die Mischung aus „Pickelhaube und Tattoos“ strahle aus; der Mix aus „rechtsradikaler Einstellung und ostdeutscher Identität“ stelle einen echten Trend für einen bestimmten Lebensabschnitt dar. In der Zeit heißt es dementsprechend, die „Ostmullen“ würden „rechte Ideologie zu Pop machen“.

Man kann trefflich darüber streiten, wo hier rechte „Ideologie“ im Wortsinn reproduziert wird. Oft sind es nur Versatzstücke rebellischer Attitüden gegen das, was eben auch im Osten von Schule bis Medienwelt von den „Autoritäten“ – also: Lehrern, Journalisten, Politikern – als „akzeptabel“ angesehen wird. Die „Ostmulle“, die sich zu Deutschland, zu rechter Musik und zur AfD bekennt – gelegentlich zu allem zugleich – schert hier aus. Sie ruft förmlich: „Nein, wir machen da nicht mit! Ihr grenzt uns aus? – Mir doch egal!“.Anders gesagt: „Punk“ ist heute „rechts“, die ultimative Provokation ist es eben nicht, so „links“ wie seine eigenen Lehrer zu sein.

Die „Ostmulle“ kennt übrigens auch ihr männliches Pendant – den jungrechten „Simme“-Fahrer, über den ich in der August 2024-Kolumne berichtete (https://dereckart.49-12-166-91.plesk.page/die-simme-rollt/). Die „Simme“, das ist ein ostdeutscher Klassiker der Fortbewegung für Jungs und junge Männer. Oft bestückt man seinen Helm mit einschlägigen Aufklebern wie „Simson statt Lastenrad!“, ebenso oft beeindruckt eine gut „getunte“, also aufgemotzte „Simme“ die „Ostmulle“ von nebenan …

Man kann nun naserümpfend mitteilen, wie es bei „X“ und anderswo einige tun, daß man Auftritt und Optik der „Ostmullen“ ekelhaft finde. Man kann ebenso fasziniert von diesem eigenwilligen Trend sein, wie es andere sind. Man kann aber auch, und das wäre der politische Zugang, das Phänomen „Ostmulle“ als temporäre Entwicklungsstufe, als Durchgangsstadium junger rechtsoffener Frauen betrachten. Wohin der „Durchgang“ erfolgt, liegt auch an politischen Einflußkräften von rechts und an der damit verbundenen Frage: Kann man diese reine Rebellion gegen „die da oben“ – oder: „die da drüben“ – politisieren, organisieren, weiterentwickeln zu etwas Konstruktivem? Oder bleibt es ein vergängliches Internetphänomen, über das in sechs oder zwölf Monaten niemand mehr spricht?

Fest steht: Auch die „Ostmulle“ symbolisiert die vorherrschende Autoritätskrise der Mainstreamgesellschaft. Eine solche Krise stelle eine „Hegemoniekrise oder Krise des Staates in seiner Gesamtheit“ dar, wie Antonio Gramsci einst definierte. Verliert das linksliberale Establishment Teile der Jugend, verliert es Teile seiner Zukunft. Und im Osten sind es eben nicht mehr nur kleine Teile. Das kann man mögen, auch wenn man am „Ostmullen-Dienstag“ lieber peinlich berührt die Social-Media-Tabs schließt.

Benedikt Kaiser

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

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