von Benedikt Kaiser
Kaisers Zone (35)
Es gibt einige Namen, deren Klang ihre Hörer stante pede an die DDR bzw. an das heutige Ostdeutschland erinnern: Gregory Gysi, das immer lächelnde Sturmgeschütz der SED bzw. PDS bzw. inzwischen Die Linke wäre da von den Lebenden zu nennen; Sigmund Jähn, Kosmonaut und Generalmajor der Nationalen Volksarmee, von den Toten. Zu letzteren muß man nun auch Peter Sodann rechnen, der am 5. April d. J. in seiner Wahlheimat Halle/Saale verstorben ist, wohin er erst 2020 als 83jähriger aus seiner anderen Wahlheimat Riesa zurückgekehrt war.

Sodann war nicht nur Schauspieler, Intendant und Regisseur – er war auch einer der markanten Advokaten des ostdeutschen Selbstbewußtseins seit dem Anschluß der BRD an die DDR. Diese Rolle fiel ihm biographisch zu: Der am 1. Juni 1934 in Meißen geborene Sachse verlor als Zehnjähriger seinen an der Ostfront kämpfenden Vater; nach 1945 suchte er Halt in der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Als gelernter Werkzeugmacher war er ein Begünstigter der Arbeiterfixierung der SED-Regierung. Zunächst konnte er via „Arbeiter-und-Bauern-Fakultät“ 1957 das Abitur nachholen, bevor er im Anschluß in Leipzig Jura studierte. Das hielt er zwei Jahre lang aufrecht, dann wechselte er an die lokale Theaterhochschule, wo ihm regimekritische Betätigung vorgeworfen wurde, die ihm u.a. Haft, SED-Ausschluß und Ächtung einbrachte. So kam Sodann zu einer weiteren praktischen Ausbildung als „Spitzendreher“, bevor er 1963 das Theaterstudium in der Messestadt wieder aufnehmen durfte. Anschließend führten ihn diverse Engagements u.a. nach Ostberlin, Erfurt, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Magdeburg und Halle/Saale, wo er nicht nur am Theater wirkte, sondern auch kulturelle Einrichtungen zu gründen half. Daneben wirkte er für die DDR-Filmindustrie rund um die DEFA an zahlreichen Streifen mit.
Nach 1990 entschied sich Sodann, an seiner Wirkungsstätte auszuharren, bevor er 2005 aus dem Dienst ausschied und mit eigenen Programmen insbesondere durch die Ostbundesländer tingelte. Noch bekannter als dies machte ihn aber die bereits 1992 übernommene Rolle als gesamtdeutscher TV-Star: Er wurde Kommissar in der Krimiserie „Tatort“ und blieb es bis 2007.
Daß er „Kultfigur“ Ostdeutschlands wurde, lag folglich an seinen zahlreichen Theater- und Filmrollen, aber – erstens – auch daran, daß der fanatische Bücherliebhaber über zwei Millionen (!) DDR-Bücher vor der Vernichtung rettete, indem er in der Nähe von Riesa einen Ort der Lesekultur schuf, der ab 2012 als „Peter-Sodann-Bibliothek“ ostdeutschlandweit für Furore sorgte.
Und zweitens verstärkte seine Rolle als Identifikationsfigur für viele DDR-sozialisierte Deutsche, daß er sich seit 2005 immer wieder praktisch-politisch engagierte, als Parteiloser die ehemalige Linkspartei.PDS und nachmalige Die Linke unterstützte und dort insbesondere Ostthemen (Löhne, Renten, Demokratiedefizite, Abstand zum Westen etc.) auf die Tagesordnung setzte – 2009 sogar als erfolgloser Kandidat für das Amt des bundesdeutschen Präsidenten.
Im Gegensatz zu seinem Sohn Franz Sodann, der ebenfalls als Schauspieler wirkte und heute Landtagsabgeordneter der Linken in Sachsen ist, kandidierte Peter Sodann nicht für ein Mandat. Stattdessen machte er sich wiederholt zum Lautsprecher der Friedensbewegung, vor allem im Zuge der Proteste gegen den Irak-Krieg. Sein Freund und Weggefährte Dieter Dehm, der heute als Solitär weder in der Partei Die Linke noch im Abspaltungsprodukt Bündnis Sahra Wagenknecht reüssiert, betont derweil in seinem Nachruf für die linkspopulistischen Nachdenkseiten, daß Sodann diese friedenspolitische Agenda bis zu seinem Tode verfolgt habe: So habe ihn zuletzt die Frage beschäftigt, weshalb „nur ein paar Zehntausend gegen die NATO, für Frieden mit Rußland und in Gaza über alle Parteigrenzen und Blockaden hinweg“ mobilisiert werden könnten.
Peter Sodann blieb demnach nicht nur seiner ostdeutschen Heimat, sondern auch seiner altlinken Prägung treu: Sein politisches Weltbild auf „Frieden, Sicherheit, Sozialismus“ zu verdichten, dürfte keine unzulässige Verkürzung sein. Aber dieses Weltbild verliert zunehmend seine natürlichen biographischen Träger; die Überalterung des entsprechenden Lagers spricht Bände. Und jene Partei Die Linke, die Peter Sodann einst mit seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten adelte, will heute nur noch wenig von ihrem einstigen ostdeutschen Links-Regionalismus wissen: „Woke“ ideologische Narreteien, nicht Interessenvertretung für die „Zone“, stehen heute im Vordergrund. Peter Sodann war eben als charismatischer Einzelgänger mit sächsischem Zungenschlag aus der Zeit gefallen – und womöglich war es ebendieser Umstand, der ihn auch jenen Ostmitbürgern sympathisch erscheinen ließ, die mit linker Politik wenig bis gar nichts anzufangen wußten.
Benedikt Kaiser
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.