Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Nervenkur mit Hindernissen

von Erich Körner-Lakatos

Solange einem nur die anderen auf die Nerven gehen, die Verwandten und Bekannten, der Chor der Frager und Ratgeber, hat das gar keine Bedeutung und ist durchaus normal. Wenn man aber so weit kommt, daß man sich selbst auf die Nerven geht, dann wird es bedenklich. Da empfiehlt es sich, ärztlichen Rat einzuholen. Natürlich nicht bei einem, sondern bei mehreren Ärzten mit grundverschiedenen Methoden, denn so kann man sich dann aussuchen, was einem am meisten zusagt.

Der erste Medizinmann, ein strenger, finsterer Spezialist älterer Richtung, untersucht mich derart gründlich und schweigsam, daß mir schon sehr kränklich zumute wird. Dann sagt er geringschätzig: „Ziehen Sie sich wieder an. Vollkommen gesund. Nichts als Stadt- und Kulturmüdigkeit. Sie brauchen psychische Luftveränderung. Geben Sie Ihren Beruf auf, wählen Sie eine rein körperliche Betätigung: Straßenkehrer, Hilfsgärtner oder Scherenschleifer.“

Nachdem ich das für einen angehenden Scherenschleifer ganz respektable Honorar bezahlt habe, fühle ich mich wesentlich leichter, zumindest in der Brieftasche. Mit viel Zuversicht gehe ich einige Häuser weiter zum zweiten Nervenarzt. Ein liebenswürdiger Herr, der mich kaum untersucht, sich alle Zustände erzählen läßt: zunehmende Gereiztheit und Überempfindlichkeit gegen die Außenwelt, besonders gegen Lärm, Musik, Gelächter und überflüssige Gespräche. Worauf er sehr befriedigt nickt: „Stimmt, stimmt. Sie müssen mehr unter Menschen gehen, sich in Vergnügungen stürzen – zum Beispiel ins Theater. Wünsche gute Unterhaltung!“

Auf ins Theater – aber nicht in der verschärften Form von Premierenbesuchen

Alsdann, auf ins Theater! Glücklicherweise ist mir die Kur nicht in der verschärften Form von Premierenbesuchen verordnet worden. Da fühle ich mich immer besonders unbehaglich. Weil die meisten Besucher mit vorgefaßter wohlwollender oder gehässiger Meinung ins Theater kommen. Manche langweilen sich sogar aus Prinzip schon im Voraus. Und alle reden so überlegen feinsinnig und ironisch gescheit, daß man vom Zuhören ganz dumm wird. Eine gewöhnliche, sagen wir dritte oder achtzehnte Vorstellung ist mir viel lieber. Lauter nette, friedliche Menschen, die nur wegen des Stückes, wegen der Aufführung ins Theater kommen und deren Empfänglichkeit umso größer ist, je ermäßigter sie sich die Karten beschafft haben. Wenn man irgendwo als Mitglied eingeschrieben oder sonst wie gut angeschrieben ist, stellt sich ein Theaterbesuch als wahre Mezzie heraus. Soweit es sich um die Karten handelt, aber das ist ja das wenigste.

Denn die Hauptsache sind freilich die kleinen Nebenausgaben. Für das Zerdrücken der Garderobe und die Schwierigkeiten der Ausfolgung am Schluß der Vorstellung wird einem eine Gebühr von zwei, manchmal gar drei Euro berechnet. Macht, wenn man mit Galoschen behaftet ist – ein Herr schützt sein maßgefertigtes Schuhwerk gegen Matsch und Streusalz durch altvaterische Überschuhe aus Gummi –, zumindest fünf Euro aus. Da man doch irgendwo hinschauen muß, kauft man sich das Programmbilderbuch und in der Pause ein Brötchen, das mit dem Vorurteil belegt ist, drei bis vier Euro zu kosten. Dazu ein Schluck Bier. Fazit: Programmheft, kleine Stärkung, Garderobe ergibt – ohne Taxi – ein Theaterkleingeld von an die fünfzehn Euro.

Das Stück hätte mir vielleicht ganz gut gefallen, wenn es mir nur möglich gewesen wäre, mehr davon zu hören. Wäre da nicht ein hinter mir sitzendes Ehepaar. Zwei Menschen, die einander offenbar den ganzen Tag nicht sehen und die das Beisammensein im Theater dazu benützen, um sich während des Spieles über alles gründlich auszusprechen und auszustreiten. Der erste Streit galt Madames Zuspätkommen. Dann ein Zwist: „Alle meine Freundinnen haben schon Pelze mit langen Ärmeln, nur ich muß da frieren. – Das Theater ist doch sehr gut geheizt. – Möglich, aber wenn ich die andern anschaue, dann friere ich“. Im zweiten Akt versuche ich, die Zusammenhänge des auf der Bühne vorgeführten Lustspieles zu erraten: Zwei küssen sich, also wahrscheinlich Liebe, zwei drehen einander gelangweilt den Rücken zu, also bestimmt Ehe. Aber da beginnt es schon wieder hinter mir: „Ist das nicht ihr gewesener Mann? – Nein, das war ihr nächster Scheidungsgrund“.Der eigentliche Konflikt kommt erst im dritten Akt, weil sich das Ehepaar nicht über die Frage einigen kann: Restaurant oder Kaffeehaus. Und so weiter …

Ja, auch im Theater muß man Glück haben. Mit den Sitznachbarn. In der Beziehung habe ich das größte Pech. Immer sitzen hinter mir die schwerhörigsten, mitteilsamsten und begriffsstutzigsten Menschen, machen höchst überflüssige Kommentare und fragen nach jedem Scherz im Laufe der Vorstellung: „Wie war das? Warum lachen denn die Leut‘? Meine Schlußfolgerung: In nächster Zeit meide ich Theater und Neurologen. Das schont Nerven wie Portemonnaie!

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