„Natürlich müssen wir untergehen“ – ein Vortrag von David Engels

von Caroline Sommerfeld

Ende Jänner sprach der deutsch-belgische Kulturhistoriker Prof. Dr. David Engels in den von Kerzen beleuchteten Räumen des Ferdinandihofes in Wien. Der Vortrag verdient besondere Beachtung, weil Engels an einem theoretischen Thema alle seine bisherigen Thesen bündelte. Dieses Thema war „Der abendländische Fortschrittsglaube“.

Es ist dem abendländischen Menschen eigen, sich auf die Zukunft hin zu entwerfen und nicht im Überkommenen verharren zu wollen. Oswald Spengler, der David Engels’ großer Gewährsmann ist, hat in seinem Klassiker Der Untergang des Abendlandes den europäischen Menschenschlag als den „faustischen“ bezeichnet – der immer mit angespannter Willensenergie hoch hinaus will, der schafft und erfindet und vor allem ständig seine alten Erfindungen verwirft und zu neuen kommt.

Nun betrachten wir als Konservative den Progressismus als eine sehr problematische Geisteshaltung. Die linke Ideologie des Fortschritts fährt schonungslos über alles Gute, Schöne und Wahre hinweg und erklärt noch die unmenschlichsten Mittel als dienlich zum Erreichen des Allgemeinwohls. Engels unterschied in seinem Vortrag, sich dieses Problems deutlich bewußt, zwischen dem Fortschritt in der Entwicklung technischer Neuerungen und dem typisch abendländischen Fortschrittsglauben.

Mit Spengler wußte er von alten Kulturen zu berichten, die wie die mittelamerikanischen Ureinwohner sehr wohl das Rad erfunden hatten, es aber nie genutzt haben, außer als Kinderspielzeug und zu kultischen Zwecken. Die griechische Antike beschrieb Prof. Engels als eine statische Kultur, die von den mykenischen Anfängen bis zum Hellenismus auf technologischem Gebiete kaum Entwicklung aufweist. Insofern zählt die Antike für ihn auch nicht zum Abendland, welches eben durch das „Faustische“ charakterisiert werden könne. Nicht nur das alte Europa, sondern auch die USA, sogar Australien und Neuseeland haben, wenn man sie wie Engels kulturmorphologisch betrachtet, entschieden abendländische Gestalt.

Das Abendland ist im Untergang begriffen – dies aber nicht erst, seitdem uns Zeitgenossen diverse politische Übel auffallen, sondern mindestens seit dem 19. Jahrhundert.

Wer ein ordentlicher Spenglerianer sein will, geht ebenso wie dieser von einer Niedergangstheorie aus. So auch Engels, der jedoch erneut zwischen „Kultur“ und „Zivilisation“unterschied, welch erstere durch ein sicheres metaphysisches Obdach gekennzeichnet sei. Das deutsche Mittelalter war ebenso fortschrittlich, weil abendländisch in seinem Wesen, wie es auf der Stufe einer Hochkultur stand. Kulturen verfallen – so hat es Spengler für alle früheren großen Kulturen nachgewiesen – am Punkt ihrer höchsten Kulturentfaltung zu Zivilisationen. Diese sind gewissermaßen „Versteinerungen“ der Kultur, selbst nicht mehr entwicklungsfähig, weil sie den lebendigen Glauben verloren haben. Sie zehren nur noch von alten Beständen und zeigen gleichzeitig dekadente und materialistische Wesenszüge. Am alten Rom kann man dies – eine der Hauptthesen David Engels’ – genauso beobachten wie am heutigen Europa.

Wenn nun aber ein steter Verfall, ein Untergang der abendländischen Kultur vorliegt, wie kann man sich als Mensch dazu sinnvoll verhalten?

Hier ging der Vortrag in eine sehr lebhaft geführte Diskussion über. Engels ist Katholik der alten Tradition und sieht in dieser ein Moment der Erneuerung: In die tridentinische Messe zum Beispiel kommen immer mehr junge Leute. Es macht, wie er auf eine Frage aus dem Publikum antwortete, einen großen Unterschied, ob in Paris oder in Wien drei konservative Familien leben, oder in einem bestimmten Dorf. Dort fallen sie auf, werden womöglich zu Vorbildern, während sie in der Großstadt in der Masse untergehen. So gilt es, Parallelgesellschaften aufzubauen. Es ist nicht möglich, ungebrochen als Konservativer die alten Bestände zu verehren, wir müssen uns des Bruchs bewußt werden und dann ebenso mit klarem Bewußtsein unsere große Tradition hinüberretten.

Wohin? Prof. Engels endete mit geschichtsphilosophischen Überlegungen. „Natürlich müssen wir untergehen“, sagte er. Aber so, wie sich spätere europäische Völker aus der Antike wesentliche Elemente angeeignet haben, so wird es auch mit unserer Technologie passieren. Es mag sein, daß in der Zukunft keine ethnischen Europäer mehr hier leben oder der Islam die Leitkultur geworden ist oder die heutigen Nationalstaatsgrenzen nicht mehr bestehen, man vom alten Abendland auf den ersten Blick vielleicht kaum mehr etwas erkennen kann. Doch zunächst gilt es, bestimmt die nächsten hundert Jahre noch für die Tradition zu kämpfen – denn auch das ist ein Zug des faustischen Menschen: nicht aufzugeben.

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