Mehr Österreich wagen?

Kaisers Zone (7)

von Benedikt Kaiser

Wer Sachsen als Tourist entdeckt, wird begeistert sein. Metropolenreiz in Leipzig, barocke Pracht in Dresden, geballte Industrie- und Arbeitertradition in Chemnitz, dazu bezaubernde und geschichtsträchtige Landschaften vom Erzgebirge bis in die Oberlausitz. Doch jenseits dieser Höhepunkte, für Einheimische und Touristen gleichermaßen, liegt die oftmals harte materielle Realität. Das Statistische Bundesamt teilte nun mit, daß immerhin 14.510 Menschen im Freistaat Sachsen im Rentenalter die sogenannte Grundsicherung beziehen müssen. Dieses Sozialgeld für Rentner steht sinnbildlich für das grassierende Problem des fehlenden Wohlstands im Alter. Sören Pellmann, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, teilte der „Lausitzer Rundschau“, einer regionalen Tageszeitung in Ostsachsen, mit: „Die Inflation kommt im Sozialamt an. 20 Prozent mehr Altersarmut innerhalb eines Jahres in Sachsen sind alarmierend.“ Tatsächlich stieg die Zahl der Grundsicherungsbezieher um 2.200 Personen. Das liegt an der allgemeinen Inflation, wobei insbesondere die steigenden Preise für Energieversorgung und Lebensmittel, also unverzichtbare Güter des täglichen Bedarfs, verantwortlich für die zunehmende Inanspruchnahme des „Hartz IV für Rentner“ sind, wie Kritiker die Grundsicherung abschätzig bezeichnen.

Pellmann, der aus dem Wagenknecht-Flügel seiner Partei stammt und intern stark „umstritten“ ist, weil er auch bei Montagsdemonstrationen auftrat, benennt aber auch einen zweiten Aspekt, der den Anstieg verursacht habe: Ältere Flüchtlinge aus der Ukraine hätten in Sachsen Grundsicherung beantragt. Das ist wahrlich selten: Ein linker Mandatsträger spricht offen über die Belastung der Sozialstaatskasse durch Migranten aus der Ukraine. Der Leipziger will das aber naturgemäß nicht zu hoch hängen und verweist statt dessen auf tieferliegende Probleme des Rentensystems in der Bundesrepublik Deutschland. Pellmann: „Wir brauchen eine große Rentenreform in Deutschland und eine Rentenkasse wie in Österreich. Dort gibt es eine armutsfeste Mindestrente, und die Renten liegen im Schnitt 800 Euro im Monat höher, weil alle einzahlen, auch Abgeordnete und Manager. Was Österreich kann, muß auch Deutschland können“, schloß Pellmann sein Plädoyer.

Die „Ossis“ sollen also von den „Ösis“ lernen – eine Annäherung von unerwarteter Seite.

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

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