Lebensbäume – Urkraft für die Kleinsten

von Reinhild Bauer

Geburt und Kleinkindalter galten über lange Zeit als kritische Phasen des Lebens, die von einem Großteil der Kinder nicht überlebt wurden. Aus dieser Zeit rührt der Gedanke her, daß man dem jungen, schwachen Leben einen Baum an die Seite stelle, der dem Menschenkind Kraft geben, als Vorbild im Wachsen und Erblühen dienen und je nach Baum auch als Nahrungsquelle von Nutzen sein solle. Sagen und Legenden erzählen sogar von Fällen, in denen das Leben des Menschen mit seinem Baum so eng verknüpft gewesen sei, daß der eine dem Tod des anderen nachfolgt sei.

Geburtsbaum, Kinderbaum, Lebensbaum und neuerdings auch Sympathiebaum sind die Bezeichnungen für diesen Brauch. Wie alle Bräuche hat er Höhen und Tiefen mitgemacht, aber nie ganz an Bedeutung und Anwendung verloren. In den letzten Jahren erfreut er sich wieder größerer Beliebtheit, angeregt durch die Diskussionen zum Thema Umweltschutz und Arterhaltung und eine steigende Hinwendung zu naturorientierter Spiritualität.

Schöne Beispiele sind die Ortschaften Lohne (Niedersachsen) und Hohberg (Baden-Württemberg), welche seit Anfang des Jahres für jedes Kind einen Baum anbieten, den die Eltern in ihrem Garten oder auf Gemeindegrund pflanzen dürfen.


Daß die Regelung dieses Brauches durch die Gemeinden geschieht, ist auch keine neue Erfindung. In Basel wurde diese Sitte im 15. Jh. erstmals urkundlich erwähnt und war in der Schweiz teilweise bis ins 19. Jh. hinein eine genau geregelte Angelegenheit eben der Gemeinde. Aus Baden-Württemberg ist überliefert, daß für jedes neue Kind auf der „Allmand“, der Gemeindewiese, ein Fleck für die Pflanzung des Geburtsbaumes zugewiesen wurde.

Je nach Region erfreuten sich unterschiedliche Bäume dafür großer Beliebtheit: Aus der Schweiz ist überliefert, daß den Buben Apfelbäume und den Mädchen Birnbäume oder Nußbäume gepflanzt wurden. In Deutschland fiel die Wahl im 19. Jh. vorrangig auf Linden, Erlen und Eichen. Die Schlesier wiederum pflanzten zu diesem Anlaß gerne Myrten, wie uns der schlesische Dichter Gustav Freytag verrät:

 
Vor meinem Fenster stand ein Myrtenstrauch,

ein kleiner Herre nach des Landes Brauch

gepflanzt im ersten Neumond meines Lebens.


Am weitesten verbreitet ist bis heute als Pflanztag der Geburtstag, die Taufe oder der erste Neumond nach der Geburt. Als Ausnahme bekannt ist im Städtchen Hohenberg (Bayern) das Pflanzen des Baumes erst zum Schulabschluß.

Ob also spirituell angehaucht, naturverbunden oder pragmatisch veranlagt: Dieser Brauch beinhaltet für nahezu jeden eine ansprechende Gestaltungsmöglichkeit. Und sollte die Geburt Ihrer Kinder bereits verstrichen sein, so können Sie getrost einen alternativen Termin dafür suchen, ganz nach dem Leitspruch: Besser spät als nie!

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