Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Keine Idylle in Cleversulzbach

von Hermann Attinghaus

Vor 150 Jahren starb der schwäbische Dichter Eduard Mörike

Mit „Mozart auf der Reise nach Prag“ hat er eine der schönsten deutschen Künstlernovellen geschrieben; „Maler Nolten“, sein einziger Roman, stellt durch seine Vielschichtigkeit und seine scheinbaren Widersprüche eigentlich eine Kunstform sui generis dar, und viele seiner lyrischen Gedichte gehören zum Kostbarsten der deutschen Literatur überhaupt. Ihr feinsinniger Dichter führte ein unspektakuläres Leben und hätte wohl noch das Zeug gehabt, ein weit bedeutenderes Werk zu hinterlassen, wären dem nicht seine schwächliche Konstitution und sein Hang zum Müßiggang entgegengestanden.

Als Goethe durch Herders Vermittlung den „Vicar of Wakefield“ – den „Landpfarrer von Wakefield“ – von Oliver Goldsmith (1728 – 1774) kennenlernte, meinte er: „Ein protestantischer Landprediger ist vielleicht der schönste Gegenstand einer modernen Idylle; er erscheint… als Priester und König in einer Person.“ Fatalerweise wurde dieser Satz unzählige Male auf Eduard Mörike, den „Pfarrer von Cleversulzbach“, angewandt. Dieser hatte zwar einerseits einige Werke wie die Verserzählungen Der alte Turmhahn (1852 gedruckt) oder die Idylle vom Bodensee (1846 gedruckt) verfaßt, die unzweifelhaft der Gattung der Idylle angehören. Andererseits hat Mörike selbst im Nachhinein die Jahre in Cleversulzbach als Idylle angesehen. Er bewohnte ein geräumiges Pfarrhaus mit einem schönen Garten gemeinsam mit Mutter und Schwester. Seine Gemeinde bestand aus etwa sechs- bis siebenhundert einfachen Menschen, die Harmonie wurde nur gelegentlich gestört, wenn diese Leute Gemüse oder Blumen aus dem Garten ihres Seelenhirten stahlen. Waren ihm in den vorangegangenen acht Jahren der „Vikariatsknechtschaft“ ständige Ortswechsel und undankbare Pflichten auferlegt worden, schien der Dichter jetzt die ersehnte Ruhe und den erhofften Frieden gefunden zu haben. Die spürbare Veränderung der äußeren Verhältnisse änderte aber an seiner schwierigen Gemütsverfassung, an seiner Hypochondrie und seiner hochgradigen Neurasthenie nichts. Mit anderen Worten: Auch in Cleversulzbach gab es für Mörike keine Idylle.

Betrachtet man sein Leben vom frühen Tod des Vaters im Jahre 1817 – Mörike war gerade einmal dreizehn Jahre alt – bis zur Trennung von seiner Ehefrau zwei Jahre vor seinem Tod, so kann dieses Dasein wohl kaum eine biedermeierliche Idylle genannt werden; dennoch wurde Mörike immer wieder als beschaulicher Biedermeierdichter bezeichnet.

Weder die Jahre in der Ludwigsburger Lateinschule noch das – ungeliebte – Theologiestudium im Tübinger Stift stellten für Mörike eine angenehme Jugendzeit dar. Außerdem zeigte sich bald ein ausgeprägter Hang zur Bequemlichkeit. Die Pflichten seines Amtes wurden ihm umso schwerer, als er sich je länger, desto weniger mit der Amtskirche seiner Zeit zu identifizieren vermochte. Da ihm das Predigtamt wenig Vergnügen bereitete, ließ er sich oft und gerne von Kollegen vertreten, was ihm denn auch bald den Ruf einbrachte, ein „faules Luder“ zu sein.

Abgesehen von seiner Mutter und seiner Schwester, mit denen er lange Zeit unter einem Dach lebte, prägten drei Frauen sein Leben. Die um zwei Jahre ältere Maria Meyer, eine ungewöhnlich schöne junge Frau ungewisser Herkunft, die der Dichter als Kellnerin in Stuttgart kennenlernte. Wie weit die Beziehung der beiden gedieh, ist unbekannt – als „Peregrina“ ist sie in die Literatur eingegangen. Die zweite bedeutende Frau in seinem Leben war Luise Rau, mit der er vier Jahre verlobt war. Auch sie inspirierte ihn zu einer Reihe tiefempfundener Gedichte. Und schließlich die Katholikin Margarethe von Speeth, die er schon 48jährig heiratete und mit der er auch zwei Kinder hatte.

Eduard Mörike war u. a. mit dem Wiener Maler Moritz von Schwind (1804 – 1874) befreundet. Gustav Schwab, der Verfasser der schönsten Sagen des klassischen Altertums, und Ludwig Uhland setzten sich für ihn ein, Theodor Storm und Iwan Turgenjew besuchten ihn, aber er gehörte weder der romantischen Schule noch dem Biedermeier an, obwohl sein Werk Züge beider Strömungen aufweist. Mörike blieb, wie auch seine Zeitgenossen Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) und Franz Grillparzer (1791 – 1872) eine Einzelerscheinung, ein literarischer Solitär. Obwohl er bei Lebzeiten mit seiner Lyrik durchaus Erfolg hatte, wurden seine Gedichte erst durch die kongenialen Vertonungen Hugo Wolfs weiten Kreisen bekannt. Bis vor wenigen Jahren gehörten Mörikes Gedichte noch zum fixen Bestandteil der Lehrpläne für den Deutschunterricht.

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