Keine Atempause

von Benedikt Kaiser

Kaisers Zone (23)

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es vielerlei politische Absurditäten und Anachronismen. Zu letztgenannter Gattung darf man das Amt des „Ostbeauftragten“ der Bundesregierung zählen. Es vergegenständlicht das Scheitern der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West – eigentlich ein im Grundgesetz (Art. 72 Abs. 2 GG) festgeschriebenes Ziel. Würde man einen Beauftragten für die einstige „Zone“ brauchen, wenn man diesem Ansinnen seit 1990 spürbar nähergekommen wäre?

Derzeit ist Staatsminister Carsten Schneider im Bundeskanzleramt als Ostbeauftragter tätig. Doch den Erfurter SPD-Mann kennt kaum jemand. Anders verhielt es sich mit seinem Vorgänger. Dieser heißt Marco Wanderwitz und kommt vom linken Flügel der CDU. Seine jahrelange Arbeit im Rahmen der Großen Koalition aus Union und SPD machte ihn zur Reizfigur. Das lag vor allem an Wanderwitz selbst. Ob im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) oder im politischen Alltagsgeschäft: Wanderwitz ließ keine Polemik gegen „seine“ Ostdeutschen aus, wetterte zu Coronazeiten gegen die Impfkritiker unter ihnen, verdammte die AfD-Wählerschaft als „rechtsradikal“, attestierte seinen Landsleuten Demokratiedefizite usf.

Der 1975 in Chemnitz geborene Hardliner trieb es zu weit. Denn viele Mittel- bzw. Ostdeutsche verfolgen den ÖRR kritisch und vernehmen die Tonlage, die man darin anschlägt: Wanderwitz verlor im September 2021 sein Direktmandant zum Deutschen Bundestag an einen AfD-Herausforderer. Seine Partei sicherte ihn jedoch über die Landesliste ab, und so sitzt Wanderwitz weiterhin im Hohen Haus – neben seiner Ehefrau Yvonne Magwas, die Vizepräsidentin des Bundestags ist. Hat ihr Mann aus seinen Verhaltensunzulänglichkeiten gelernt? Nein.

In der „plenarfreien Zeit“, der Sommerpause des Parlaments, ergriff er jetzt publikumswirksam die Initiative für ein AfD-Verbot. Er begründete dies mit der „Rechtsradikalität“ und der „Größe dieser Gefahr insbesondere in den neuen Bundesländern“. Eine Zerschlagung der AfD würde der Demokratie eine „Atempause“ verschaffen. Kurz nach Wanderwitz’ Vorstoß kamen neue Umfrageergebnisse: Die AfD steigert sich weiter und steht in Ostdeutschland bei 32 Prozent. Man muß kein Ostbeauftragter gewesen sein, um zu verstehen: Die Weigerung vieler „Ost“-Bürger, sich bevormunden zu lassen, wächst. 33 Jahre nach der „Wende“ kennt der Freiheitsdrang eben keine Atempause.

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

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