von Erik Lehnert
Im September 2019 führte die Journalistin Christine Chiriac ein Interview mit Hans Bergel, in dem der damals fast 95jährige Schriftsteller seine ungebrochene Lust am Schreiben zum Ausdruck brachte, allerdings im Hinblick auf sein wichtigstes Buchprojekt eine Einschränkung machte. Als „Folge der Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen ringsum, die ja nicht nur mir Sorge bereiten“ berichtete er von einer Schreibblockade, die sein Projekt gefährde. Die Maßlosigkeit der gegenwärtigen Kultur lasse vergessen, daß „zum Kernbestand vitaler Kulturen immer schon das Ethos des Verzichts gehörte“. Mehr wolle er dazu nicht sagen.
Die Blockade bezog sich auf den dritten Band seiner Trilogie Finale. Die beiden vorliegende Bände, Wenn die Adler kommen (1996) und Die Wiederkehr der Wölfe (2006), lassen erahnen, was wir damit vermissen werden, gelingt es Bergel darin doch, die Geschichte Siebenbürgens am Beispiel einer weitverzweigten Familie über einen Zeitraum von fast 30 Jahren – beginnend zwischen den beiden Weltkriegen – zu schildern und dabei der ganzen Weite und Verschlungenheit dieser historisch so bedeutenden deutschen Minderheit ein Denkmal zu setzen. Nicht nur, daß das Buch spannend geschrieben ist, es macht auch fühlbar, was mit dem Untergang dieser Welt im Zeitalter der Ideologien verlorenging. Ein Epos!
Was zum Zeitpunkt des erwähnten Gesprächs laut Bergel vorlag, ließ aufhorchen: „Umfangreiche Vorarbeiten – Auswahl der historischen Eckdaten, an denen sich die Romanerzählung bzw. die Romanerzählungen zu orientieren haben, und anderes – sind abgeschlossen. Wesentliche Erzählblöcke liegen ausgearbeitet vor, darunter mit Sicherheit die stärksten Prosapartien, die ich je schrieb.“ Durch Bergels Tod am 26. Februar 2022 wird der dritte Band unvollendet bleiben. Es ist zu hoffen, daß wenigstens die ausgearbeiteten Passagen veröffentlicht werden.
Wer die ersten beiden Romane kennt, weiß, daß Bergels Art zu erzählen stark von dem verblüffenden Moment lebt, in den er seine Figuren hineinstellt. Seine Romane waren insofern, auch wenn sie einen großen Bogen spannten, eine Aneinanderreihung unerhörter Begebenheiten, die ohne weiteres auch für sich stehen konnten. Daß Bescheidenheit nicht zu den hervorstechendsten Eigenschaften Bergels zählte, wird man ihm angesichts seines Lebens und seines umfangreichen Werkes nachsehen. Zuviel hatte er überlebt, zu viel gesehen, als daß er nicht davon überzeugt gewesen sein könnte, als Schriftsteller einer Berufung zu folgen.
Hans Bergel wurde am 26. Juli 1925 als Lehrerssohn in Rosenau/Siebenbürgen, genauer im Burzenland, in eine Welt geboren, die sich im Umbruch befand. Der Untergang des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn hatte dafür gesorgt, daß der noch junge Staat Rumänien sein Gebiet fast verdoppeln konnte – vor allem das deutsch dominierte Siebenbürgen mußte dazu beitragen. Nationalismus und ethnisch motivierte Politik sorgten dafür, daß das Zusammenleben der verschiedenen Völker schwieriger wurde. Am Ende des Zweiten Weltkriegs folgte die finale Eskalation, als alle männlichen Deutschen nach Rußland deportiert wurden und in Rumänien die Kommunisten die Macht übernahmen.
Bergel, der schon als Schüler seinen eigenen Kopf hatte, wurde 1942 wegen Verächtlichmachung der nationalsozialistischen Grundsätze relegiert. Nach dem Seitenwechsel der Rumänen schloß er sich 1944 den Partisanen an, bis er 1947 zum ersten Mal verhaftet und zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Es sollte nicht die letzte Haftstrafe bleiben. Bergel, der ein ausgezeichneter Sportler war, konnte seinen Wehrdienst beim „Zentralen Heeressportclub“ ableisten. Er studierte Musik und Kunstgeschichte, wurde neuerlich verhaftet und 1955, nach einem Jahr Haft wieder entlassen.
Sein 1957 erschienener Erstling, die Novelle Fürst und Lautenschläger, zählt zu den wichtigsten Widerstandsbüchern, die unter kommunistischer Herrschaft verfaßt wurden. Bergel hat selbst davon gesprochen, daß diese Novelle den Lauf seines Lebens bestimmt habe. Er verfaßte sie zwischen Herbst 1945 und Februar 1946 unter widrigsten Umständen, als er sich in den Südkarpaten der antikommunistischen Widerstandsbewegung angeschlossen hatte. Das beispielhafte Leben der Mitkämpfer und die zunehmenden Repressionen, denen sie ausgesetzt waren, gaben den Anstoß zu der Novelle, bei der es ihm um eines ging: „Meinen Zorn auf die Tyrannei in Worte zu fassen, um nicht an ihr zu ersticken, meiner Wut auf die Unterdrücker Ausdruck zu verleihen, um nicht moralisch zugrunde zu gehen.“ Zunächst blieb die Geschichte ungedruckt, erst 1956 eröffnete sich eine Möglichkeit, als er aufgefordert wurde, am Literaturwettbewerb der deutschsprachigen Tageszeitung Neuer Weg teilzunehmen und dort für Fürst und Lautenschläger prämiert wurde.
Bergel arbeitete bis Ende 1958 als Kulturredakteur bei der Volkszeitung in Kronstadt (das bis 1960 Stalinstadt hieß), mußte nach der politisch motivierten Entlassung seinen Unterhalt als Cellist verdienen und veröffentlichte mit Die Straße der Verwegenen (1957) und dem Jugendroman Die Abenteuer des Japps (1958) noch zwei weitere Bücher, bevor er am 22. Mai 1959 von der Geheimpolizei Securitate wegen „Untergrabung der sozialistischen Staatsordnung“ verhaftet wurde. Bergel war damit einer von insgesamt fünf Schriftstellern, deren Festnahme zwischen Juli 1958 und Mai 1959 erfolgte und die im sogenannten Kronstädter Schriftstellerprozeß gemeinsam verurteilt wurden.
Zwischen Mai und August mußte Bergel 14 Verhöre über sich ergehen lassen, die sich vor allem um die Deutung der Erzählung Fürst und Lautenschläger drehten. Zentraler Vorwurf waren dabei die beiden unverhohlenen Sätze des Lautenschlägers: „Ich bin keine käufliche Hure, meine Kunst ebensowenig. Und ich bin frei, auch wenn ich in Ketten gelegt und eingesperrt werde.“ Bergel wurde am 19. September 1959 zu 15 Jahren Zwangsarbeit und fünf Jahren Aberkennung der Bürgerrechte verurteilt. 1964 kam Bergel im Zuge einer Amnestie frei und konnte Rumänien 1968 in Richtung München verlassen.
Hier und in Italien wirkte Bergel seitdem als Schriftsteller und veröffentlichte vor allem zu zwei Themen. Gleich 1969 erschien Rumänien. Porträt einer Nation, dem im Laufe der Jahre weitere Gesamtdarstellungen zu Siebenbürgen folgten. Ein besonderes Augenmerk legte Bergel immer wieder auf die Persönlichkeiten, die dieses Land hervorgebracht hatte. In zahlreichen Büchern zeigt er die vielfältigen Begabungen, die hierzulande zwar bekannte Namen waren, die man aber nicht mit Siebenbürgen in Zusammenhang gebracht hat. Ein herausragendes Beispiel ist der aus Hermannstadt stammende Hermann Oberth, der im 20. Jahrhundert die wissenschaftliche Raketentechnik begründete, ohne zu wissen, daß er dabei auf den in Siebenbürgen wirkenden Conrad Haas aufbauen konnte, der bereits im 16. Jahrhundert in dieser Richtung geforscht hatte (was erst 1961 entdeckt wurde). Beiden hat Bergel Essays gewidmet.
Ein weiterer Zweig war die Literatur, die bei Bergel immer autobiographisch geprägt war. Neben zahlreichen Erzählungen legte er 1977 mit Tanz in Ketten einen romanhaft verfremdeten Lebensbericht über seine Leidenszeit vor, der den Bundesdeutschen die rumänische Wirklichkeit unter den Kommunisten erstmals drastisch vor Augen führte. Vor allem aber ist hier die eingangs erwähnte, unvollendet gebliebene Trilogie zu nennen. Mit ihr hat Bergel nicht nur den Siebenbürger Sachsen, sondern allen Rumäniendeutschen ein Denkmal gesetzt, das zum ewigen Kanon der deutschen Literatur des Ostens zählt.
Über den Autor:
Dr. Erik Lehnert, geb. 1975 in Berlin, Philosoph und Historiker, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik, das die Zeitschrift Sezession
herausgibt.
Veröffentlichungen (Auswahl): Staatspolitisches Handbuch, 5 Bände (als Hrsg., 2010-2017); Das andere Deutschland. Neun Typen (2. Auflage 2019); Oliveira Salazar: Nationale Revolution und autoritärer Staat
(als Hrsg., 2020).