Brauchtum (5)
von Reinhild Bauer
Winter: die Zeit der langen Abende und des gemütlichen Beisammenseins. Vor einigen Jahrzehnten war es noch üblich, daß die Frauen mit ihrem Strickzeug die Garderobe der ganzen Familie aufrüsteten. Dann folgten um die Zeit des Jahrtausendwechsels einige Jahre weitverbreiteter Geringschätzung von Selbstgemachtem. Stricken und sonstige Handarbeiten hatten einen altmodischen Beigeschmack. Diese Durststrecke des Strickens ist nun überwunden, und die heutige Mode knüpft an die Tradition unserer Großmütter an. Die alte Überlebenskunst erfährt eine Wiedergeburt.
Ob Instagram, Facebook oder Netzseiten: Die Zahl neuer „Follower“ und neuer Seiten zum Thema Stricken nimmt beinahe täglich zu.
Die Mitgliederzahlen in Handarbeitsvereinen und entsprechenden Kursen sind förmlich explodiert, vor allem seit dem Corona-Frühjahr 2020. Die allgemeine Krisenstimmung löste den Wunsch nach hochwertigen Produkten aus und nach der Gewißheit, nicht nur auf die globale Industrie angewiesen zu sein. Und da wird Selbermachen wieder zur besten Methode, um auf sich selbst gestellt gute Qualität erlangen zu können. Das Streben nach Einzigartigkeit findet darin durch das Entwickeln eines einzigartigen Stils Erfüllung; und das schnelle Erfolgserlebnis sowie greifbares, zeitfüllendes Tagewerk gerade während der langen „Lockdowns“ machen den Menschen Freude. In unserer schnellebigen Zeit ist für viele, die stricken, auch die Ruhe dabei, die meditative Arbeit, ein Mittel zum Zweck der Erholung.
Unter dem zeitgemäßen Titel „DIY“, abgeleitet von „do it yourself“, finden sich im Netz zahlreiche Ideen, Anregungen und Anleitungen für das Handwerken des Laien. Dinge nicht einfach nur zu kaufen, sondern selbst zu machen, ist in den letzten Jahren wieder eine wertsteigernde Eigenschaft geworden und erfreut sich großer Beliebtheit.
Zur Zeit unserer Groß- und Urgroßeltern gab es keine Alternative. Das Selbstmachen war eine kostengünstige Möglichkeit, sich das Notwendigste an Kleidung zu beschaffen.
Waren es früher die klassischen Zopf- und Lochmuster, die liebevoll gestaltet und immer neu entwickelt wurden und fixer Bestandteil der alpenländischen Trachten sind, so sind es heute schrille Farben und außergewöhnliche Formen, die ihren Weg bis auf die schillerndsten Laufstege finden.
Jede Krise treibt ihre eigenen Stilblüten – eine ausgesprochen schöne ist das nun erfolgte Anknüpfen einer neuen Generation an die Handarbeitstradition unserer Großmütter.
Über die Autorin:
28 Jahre alt, Ehefrau, Mutter und Mitorganisatorin zweier großer Kulturveranstaltungen für die deutsche Jugend; aufgewachsen im Österreichischen Turnerbund und der Bündischen Jugend, Studium zur Volksschullehrerin, anschließend drei Jahre in der österreichischen Politik.