von Mario Kandil
Kalendarium Kandili (30)
Der große Chemiker Fritz Haber lieferte die Idee für die Ammoniaksynthese, die nach 1908 den Ertrag der Agrikultur immens steigerte, und nicht umsonst war er Nobelpreisträger. Doch natürlich versäumen die gegenwärtigen Vergangenheitszensoren nicht den Hinweis darauf, daß er sein Verfahren auch für die Produktion von Sprengstoff und für den Einsatz von Gas im Ersten Weltkrieg verwendet habe. Nutzen wir seinen 90. Todestag am 29. Januar zu einer objektiveren Würdigung.
Für den am 9. Dezember 1868 in Breslau als Sohn eines jüdischen Farben- und Chemikalienhändlers geborenen Fritz Haber gab es laut seiner Tochter Eva Charlotte Lewis stets nur eines: Deutschland, sein Heimatland. Und er selbst sagte – ganz unbescheiden –, er als Gründer von Industrien sei „mehr als ein großer Heerführer, mehr als ein Industriekapitän“ gewesen. In der Tat standen ihm alle Türen offen, weil er gemeinsam mit Robert Bosch das sog. Haber-Bosch-Verfahren entwickelt hatte, das 1910 zum Patent angemeldet wurde. Damit ließ sich synthetisch Ammoniak als Grundstoff für Salpeter gewinnen, woraus letztlich Düngemittel ebenso wie Sprengstoff hergestellt werden konnten.
1911 als Gründungsdirektor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie nach Berlin übergesiedelt baute Haber sein Institut in ein großes Zentrum zur Forschung in Sachen Gaskrieg um. Da er wußte, daß der Feind fähig sein würde, Gegenwaffen zu entwickeln, drängte er die deutschen Militärs, im Krieg häufiger Gas einzusetzen.
Von allen Haber verliehenen Auszeichnungen war der Nobelpreis für Chemie 1918 die bedeutendste, doch für seine glänzende Karriere hatte er auch sein privates Glück geopfert: Seine erste Frau, die Chemikerin Clara Immerwahr, nahm sich 1915 das Leben. Habers zweite Ehe scheiterte. Als nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus’ schon bald mehrere seiner Mitarbeiter aufgrund des „Arier-Paragraphen“ gehen mußten, trat Haber als Institutschef zurück.
Seelisch schwer angeschlagen und auch physisch seit langem ernsthaft krank emigrierte Haber im November 1933 nach England, wo er an der Universität Cambridge noch kurze Zeit lehrte. Auf dem Weg zu einem Sanatorium in Locarno starb Fritz Haber am 29. Januar 1934 in Basel in einem Hotel an Herzversagen. Er steht für das diffizile Verhältnis zwischen „hehrer“ Wissenschaft einerseits und deren oft Verderben bringender Anwendung im „realen“ Leben andererseits.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.