von Martin Hobek
Über Feuerland, das sich Argentinien und Chile am südlichsten Zipfel Südamerikas teilen, weiß die Weltöffentlichkeit wenig. Folglich überrascht es nicht, daß man auch dessen „Conquistador“, also Eroberer, nicht kennt. Es handelt sich um die schillernde Persönlichkeit Julius/Julio Poppers. Schon Charles Darwin beschrieb die Region als gottverlassene Gegend, deren Bewohner wilden Tieren mehr ähneln würden als Menschen. Interessant war sie – vor Errichtung des Panamakanals – nur für die Schiffahrt unter dem Aspekt, das Kap Hoorn bzw. die Magellanstraße möglichst schnell und risikolos hinter sich zu lassen. Das änderte sich temporär, als die Menschheit vom Goldfieber infiziert wurde. Dieses brachte auch Julius Popper nach Feuerland.
Popper wurde am 15. Dezember 1857 in Bukarest geboren. Er war rumänischer Staatsbürger, jüdischer Religion und Kulturdeutscher. Nachdem er an einer Bergbauhochschule in Paris studiert hatte, unternahm er ausgedehnte Reisen in den Nahen und Fernen Osten. Letztlich landete er in Chile bei einer Telegraphengesellschaft, von wo er nach Argentinien übersiedelte. Seiner Überzeugung nach gab es in Feuerland Gold. Er wurde auch tatsächlich 1886 im Sand des Strandes von El Páramo fündig. Die Vorkommen waren eigentlich nicht üppig, aber Popper – nunmehr ein hispanisierter „Julio“ – war der erste und dank seiner montanistischen Ausbildung fähig, das begehrte Edelmetall zu fördern. Sein Monopol ließ er sich durch zwölf Söldner absichern.
Ein kulturdeutscher jüdischer Rumäne aus Bukarest als Feudalherr in Feuerland
Als jedoch eines Tages siebzig Bewaffnete die Szenerie betraten, mußte Popper tief in die Trickkiste greifen: Die Angreifer verschossen ihre gesamte Munition, da die sie umzingelnden Reiter partout nicht zu Boden gehen wollten. Als sie erkennen mußten, daß sie auf festgezurrte Puppen gefeuert hatten, kam es noch schlimmer: Popper hatte hinterrücks ihre Pferde gestohlen. Die feindliche Übernahme war zu einem Schlag ins Wasser geraten. Der siegreiche Verteidiger hingegen wurde durch dieses „Gefecht von Arroyo Beta“ schlagartig in ganz Argentinien berühmt. Er wurde dadurch auch mit so viel Selbstbewußtsein ausgestattet, daß er eine Stadt namens Atlanta gründen wollte und eigene Goldmünzen und Briefmarken herausbrachte. Die Goldmünzen wurden aufgrund ihres hohen Feingehaltes zu einem großen Erfolg, speziell nach dem Börsenkrach und einer Hyperinflation im Jahre 1890. Welche große Rolle sie damals im Zahlungsverkehr Argentiniens gespielt haben müssen, zeigt, daß sie im Gegensatz zu den Briefmarken, von denen nicht einmal mehr ein Dutzend existiert, auch heute noch gelegentlich bei Versteigerungen auftauchen. Bis auf einige Ausreißer erzielen sie hier meistens um die 3.000 US-Dollar.
Zur lebenden Legende gemausert – und einer Freimaurerloge angehörend – genoß Julio Popper in Argentinien eine sehr starke gesellschaftliche Stellung. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hatte Poppers an der Börse florierende Compania de Lavadores del Oro de Sud („Gesellschaft der Goldwäscher des Südens“). Wann immer ein Spitzenpolitiker in Buenos Aires ihn in die Schranken weisen wollte, war dieser augenblicklich mit Selbstbehauptung beschäftigt. Das lag nicht zuletzt an der Presse, deren Liebkind Popper geworden war.
Die zeitgenössische Geschichtsschreibung kreidet Popper nachträglich an, daß er maßgeblich an der Ausrottung der Ureinwohner Feuerlands, dem Ona-Stamm der Selknam-Indianer, beteiligt gewesen sein soll. In diesem Punkt kann man Poppers Haltung nur als schizoid bezeichnen. Es ist belegt, daß er die Eingeborenen als rechtmäßige Eigentümer des Landes sah und all jenen widersprach, die sie als dumm und gefühllos geringschätzten. Verteidigungsversuche mit Pfeil und Bogen beantwortete Popper aber gnadenlos mit den Winchester-Gewehren seiner Söldner. Auch beteiligte er sich an Dezimierungsaktionen der argentinischen Armee und ließ Desperados gewähren, die Körperteile von „erbeuteten“ Indigenen als Trophäen verkauften. So wird Poppers Name heute hauptsächlich mit diesem Genozid in Verbindung gebracht.
Jedenfalls: Bekanntlich kommt mit dem Essen der Appetit. Julio Popper war bestrebt, daß ihm Argentinien seinen Anteil an der Antarktis überlasse. Eine Expeditionsflotte hatte er bereits zur Verfügung. Als er wegen dieses Vorhabens in der Hauptstadt Buenos Aires weilte, starb er überraschend am 5. Juni 1893 mit gerade einmal 35 Jahren. Der offiziell als Todesursache angegebene Herzinfarkt im Hotelzimmer wird bis heute angezweifelt.