Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Fermentieren – Vorausdenken der anderen Art

von Reinhild Bauer

Brauchtum (47)

Es ist Erntezeit. Essen gibt es im Übermaß, und wir könnten uns genußvoll jeder Sekunde des Lebens hingeben. Doch in uns steckt das Gen des Vordenkens, wie es unsere Vorfahren in unseren Breitengraden brauchten, um auch im Winter zu überleben. Sie waren Vordenker, die in der Fülle des Herbstes den Speiseplan für den Winter erstellten. Doch ohne Tiefkühler und Weckgläser war das nicht einfach. Trocknen, Einlegen und Fermentieren waren die gängigen Methoden des Konservierens, seit der Mensch seßhaft ist. Das Fermentieren rückt in den vergangenen Jahren wieder mehr in den Fokus der gesunden Ernährung. Daher wollen wir uns heute dieser alten Kulturform der Haltbarmachung widmen.

 Mit Hilfe kleiner Pilze und Mikroorganismen schafften es unsere Ahnen, rohes Gemüse und Obst zu konservieren. Die drei bekannten Arten des Gärens sind die alkoholische Gärung, jene auf Basis von Essigbakterien und jene mit Milchsäurebakterien. Dabei wird der Zucker der Lebensmittel zersetzt. Begonnen hat der Mensch mit dieser Methode vor rund 10.000 Jahren. Da der Prozeß jedoch nicht verstanden wurde, schrieb man ihn den Göttern zu. Im 18. Jh. entdeckten Seefahrer durch Zufall, als ihnen nämlich das Kraut an Bord vergoren war, daß dieses nicht nur irgendwie genießbar, sondern sogar sehr gesund war und den gefürchteten Skorbut verhinderte. Seither war Sauerkraut auf jeder längeren Seefahrt mit an Bord. Mit der Entdeckung der Bakterien im 19. Jh. gerieten diese Praktiken vorübergehend in Verruf, erfreuen sich nun seit einigen Jahren aber wieder einer steigenden Zahl von Anhängern.

Sauerteig und Sauerkraut sind die bis heute bekanntesten milchsauer vergorenen Lebensmittel, die auch bei weniger bewußt gesund lebenden Menschen auf dem Speiseplan stehen. Doch das ist längst nicht das Ende der Möglichkeiten. Letztlich kann man jedes Gemüse vergären und damit auch leichter verdaulich machen. Die Zutaten dafür sind recht überschaubar: das Gemüse selbst, Salz, Wasser, ein Glas oder Gärtopf und ca. vier bis sechs Wochen Zeit – mehr bedarf es nicht. Es entspricht damit der aktuellen Forderung nach Energiesparen, denn Fermentieren kommt ohne Hitze und Kälte aus. Und so kann man im Winter dennoch Gemüse essen, daß frisch und gesund ist, ohne von der anderen Erdhalbkugel zu stammen.

Wer nun immer noch denkt, das Fermentieren sei nichts für ihn, der muß allerdings auch auf Tee, Käse, Bier und Wein verzichten: All diese Lebensmittel erhalten erst durch die Fermentation ihre Konsistenz und ihren Geschmack. Vielleicht lohnt sich doch ein Versuch in dieser alten Tradition des Haltbarmachens!

Über die Autorin:

28 Jahre alt, Ehefrau, Mutter und Mitorganisatorin zweier großer Kulturveranstaltungen für die deutsche Jugend; aufgewachsen im Österreichischen Turnerbund und der Bündischen Jugend, Studium zur Volksschullehrerin, anschließend drei Jahre in der österreichischen Politik.

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