von Mario Kandil
Kalendarium Kandili (63)
Er war schon zu Lebzeiten eine Legende: Vor 150 Jahren, am 3. Juli 1875, wurde Ferdinand Sauerbruch, einer der bedeutendsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts, geboren.
Nach dem Tod seines Vaters (1877) mittellos, zog Ferdinand mit Mutter und Geschwistern zum Großvater nach Elberfeld und wuchs dort in ärmlichen Verhältnissen auf. Sauerbruch wurde 1901 als Arzt approbiert und trug danach wesentlich zum Fortschritt der Chirurgie bei, ihm zufolge der „ältesten Form des Arzttums“: z. B. durch Konstruktion aktiv beweglicher Armprothesen, aber auch in der Thoraxchirurgie.
Seine erste Professur erhielt Sauerbruch 1908 in Marburg. 1918 nach München berufen, ließ er dort zunächst die chirurgische Klinik gänzlich modernisieren. Genauso verfuhr er 1928 nach dem Ruf an die Berliner Charité. Im OP-Saal, für ihn zentraler Ort des Wirkens, gab er sich sehr autoritär und war mit seiner Arbeit „verheiratet“. Kritiker meinen, das Bild des Arztes als eines „Halbgottes in Weiß“ sei bis heute stark von Sauerbruchs Persönlichkeit geprägt.
1923 schickte Sauerbruch in München einen Assistenzarzt zu Adolf Hitler, der sich beim gescheiterten Putschversuch den Arm verletzt hatte, und operierte 1919 den schwer verletzten Attentäter des SPD-Ministerpräsidenten Kurt Eisner, Anton Graf von Arco auf Valley. Der große Chirurg versorgte jedoch auch den SPD-Politiker Erhard Auer und begleitete als einer von wenigen 1935 den Trauerzug für den jüdischen Künstler Max Liebermann. Trotzdem wird Sauerbruch bis heute vorgehalten, als Generalarzt und Forschungsgutachter von Menschenversuchen in der NS-Zeit gewußt und nicht dagegen opponiert zu haben.
Sauerbruchs Karriere war 1945 aber nicht am Ende. Auch die Emeritierung 1949 hielt ihn nicht davon ab, weiter Patienten zu behandeln, obwohl ihm immer häufiger Operationsfehler wegen einer Zerebralsklerose unterliefen. An deren Folgen starb der geniale Chirurg am 2. Juli 1951, einen Tag vor seinem 76. Geburtstag, in Berlin. Auch Sauerbruch steht für das diffizile Verhältnis, das zwischen „hehrer“ Wissenschaft und zu großer Nähe zu totalitären Regimen gegeben ist. Basierend auf seinen 1951 publizierten Memoiren kam 1954 der Film Sauerbruch – Das war mein Leben mit Ewald Balser als Sauerbruch in die Kinos. Kritiker monieren die „geschönte“ Darstellung, doch wie Konrad Adenauer 1952 sagte: „Wir sollten jetzt mit der Naziriecherei Schluß machen!“.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.