Brauchtum (6)
von Reinhild Bauer
Die vierzigtägige christliche Fastenzeit ist für viele immer noch ein willkommener Anlaß, um die innere Versuchung zu überwinden und einmal im Jahr auf bestimmte Speisen, Getränke oder Konsumgüter zu verzichten. Der Ursprung dieses Brauches ist schwer zu ermitteln, da sich das Fasten in nahezu allen Kulturen seit Beginn der Menschheit findet. Was die Herkunft des Fastens im deutschen Brauchtumskalender angeht, so gibt es einige Hinweise darauf, daß es schon lange vor der Christianisierung gepflegt wurde. Allein die Herkunft des Wortes „Fasten“ ist aufschlußreich: Es ist germanischen Ursprungs und leitet sich von „fastan“ ab, das für „(fest)halten, bewachen“ steht. Dieser Wortstamm paßt zu den heute bekannten Fastenriten der Germanen in Verbindung mit dem Totengedenken und Totenopfern.
Die Kirche hat diese heidnischen Fastenbräuche an hohen Festtagen verboten und die Fastenzeit zwischen Fasching und Ostern eingeführt, passend zur Leidensgeschichte Jesu. Diese Zeit ist auch deshalb gut gewählt, da sie in jene Wochen fällt, in denen sich die Wintervorräte neigen und zugleich aus der Natur noch nicht viel zu holen ist; so wird von der Fastenzeit der natürliche Rhythmus der Natur aufgegriffen.
Zusätzlich zum religiös motivierten Fasten gibt es seit den 1920er-Jahren auch verschiedenste Fastenmodelle im Namen der Gesundheit. Heilfasten, Basenfasten, Saftfasten: All das erfreut sich heute großer Beliebtheit und gipfelt in ganzen „Fastenurlauben“; eigens dafür eingerichtete Hotels, deren Koch dafür bezahlt wird, den Teller kunstvoll möglichst leer zu lassen, ziehen die gesundheitsbewußten Touristen scharenweise an. Und auch unter jungen Leuten ist es Mode geworden, zeitweise auf Genußmittel, Gewohnheiten und Konsumgüter zu verzichten und im Freundeskreis damit zu prahlen. Einige von dieser Szene geprägte Begriffe sind Handyfasten, Kleiderfasten, Männerfasten.
Fasten ist also weit mehr als eine Mode, mehr als ein altmodisches religiöses Konzept und mehr als ein Gesundheitstrend. Und unumstritten ist, daß Fasten eine sehr lange Tradition hat. Die Sorge, als Fastender in eine Schublade gesteckt zu werden, ist daher unbegründet, und wir können diesen uralten Brauch getrost pflegen, ohne nur deswegen altmodisch oder neumodisch zu sein. Es braucht dazu auch keine Kurse, Hotels oder Anleitungen. Einfach ein Ziel setzen, sich in unserer Zeit des Überflusses auf das Wesentliche besinnen, die eigene Willensstärke prüfen und der Konsumflut entkommen.
Über die Autorin:
28 Jahre alt, Ehefrau, Mutter und Mitorganisatorin zweier großer Kulturveranstaltungen für die deutsche Jugend; aufgewachsen im Österreichischen Turnerbund und der Bündischen Jugend, Studium zur Volksschullehrerin, anschließend drei Jahre in der österreichischen Politik.