Eine 21jährige BWL-Studentin aus Oberschlesien erzählt
Vor genau einem Jahr konnte die ÖLM dank Ihrer Weihnachtsspende der Gemeinde Malapane (Ozimek) in Schlesien dabei helfen, an den sechs Schulen weiterhin den vollen Minderheitensprachunterricht in Deutsch anzubieten. Diesen hatte davor die polnische Regierungspartei PiS von drei auf eine Wochenstunde gekürzt – und zwar nur für die deutsche Volksgruppe. Der Beschluß der polnischen Regierung ist nach wie vor aufrecht. Trotz aller Proteste müssen die Deutschen weiter mit der Diskriminierung leben, was Folgen für die nächste Generation nach sich ziehen wird. Aus Anlaß des Jahrestages der Sammlung für die Fortsetzung des Minderheitensprachunterrichtes zumindest in einer Gemeinde hat die ÖLM Vanessa Korgiel, ehemalige stellvertretende Vorsitzende des „Bundes der Jungen der deutschen Minderheit“ (BJDM) in Oppeln-Zentrum, zum Interview gebeten.
Ulrike Raich: Sehr geehrte Frau Korgiel, Sie sprechen perfekt Deutsch. Wie kommt das?
Vanessa Korgiel: Ich bin in Nordrhein-Westfalen geboren, weil meine Eltern damals dort gearbeitet haben. Als ich drei Jahre alt war, kehrte meine Familie nach Schlesien zurück. Dort mußten wir aber gut Polnisch können. Daher machten wir es so: Jeden Donnerstag und jeden Samstag sprachen meine Eltern, meine Schwester und ich immer nur Deutsch miteinander.
Wie viel trägt deutsches Fernsehen zu den Sprachkenntnissen bei?
Sehr viel. Die meisten Jugendlichen haben ja Eltern, die auch schon längst die deutsche Sprache verloren hatten. Sie konnten höchstens mit den Großeltern noch etwas Deutsch sprechen. Viele meiner Alterskollegen haben aber auf Deutsch ferngesehen. Vor allem Märchen haben uns geprägt.
Sie haben in der Schule den dreistündigen Minderheitensprachunterricht gehabt, zusätzlich zum normalen Unterricht von Deutsch als Fremdsprache. Ist der Minderheitensprachunterricht überhaupt notwendig?
Auf jeden Fall! Denn dort erlebte ich den emotionalen Zugang zu meiner Herkunft. Man lernt dort über die Geschichte des Landes, über die Höhen und Tiefen, die Kultur und Literatur Schlesiens. Am wichtigsten war für mich aber, daß ich dort Deutsch spielerisch erlernen konnte, ohne den Druck des „normalen“ Unterrichtes. Der Minderheitensprachunterricht machte einfach Spaß.
Mit der Kürzung des Sprachunterrichtes nur für die Deutschen ging und geht eine antideutsche Stimmungsmache durch die Regierung und durch Polen einher. Sind die Folgen für Sie in Schlesien spürbar?
Ja, man merkt, wie Zwietracht zwischen den Volksgruppen gesät wird, leider erfolgreich. Doch die Geschichte läßt sich nicht verändern, wir müssen mit ihr leben und mit ihr zurechtkommen.
Was bedeutet das für das Zusammenleben zwischen Polen und Deutschen in Schlesien?
Viele Schlesier trauen sich nicht mehr, Deutsch zu sprechen. Mein Cousin zum Beispiel spricht mit seiner Frau und seinen Eltern Deutsch, aber mit den Kindern Polnisch. Wenn diese jetzt auch keinen Minderheitensprachunterricht mehr haben, dann werden sie von polnischer Seite wohl gänzlich vereinnahmt werden.
Was kann man dagegen tun?
Immer wenn ich meinen Cousin besuche und mit seinen Kindern spiele, flechte ich die deutsche Sprache ein. Ich versuche immer wieder, ihm zu erklären, wie wichtig Sprachkenntnisse sind. Ich merke es an mir selbst: Ich studiere BWL und möchte demnächst ein Semester in Österreich absolvieren. Das geht mit meinen Deutschkenntnissen einfach viel einfacher. Ich glaube auch, daß ich meinen Studienkollegen damit etwas voraushabe.
Wie ist die deutsche Jugend in Oberschlesien organisiert?
Wir haben ein Büro in Oppeln und sind in Ortsgruppen mit rund 2.000 Mitgliedern organisiert. Damit sind wir eine der größten Jugendvereinigungen in ganz Polen. Seit 1998 ist der BJDM Mitglied im europäischen Netzwerk Jugend Europäischer Volksgruppen (JEV). Ich selbst komme aus einem kleinen Dorf, zu klein für eine ganz Ortsgruppe. Wir waren einige Jugendliche, die aus so kleinen Dörfern kamen. Wir haben uns dann in Oppeln getroffen und die Ortsgruppe Oppeln-Zentrum für all jene gegründet, die verstreut wohnen. Das hat geklappt.
Sie arbeiten Vollzeit und studieren in Mindeststudienzeit. Bleibt da noch Zeit für Engagement für die deutsche Minderheit?
Wenig. Alle, die wir einst als 16- bis 19jährige im BJDM waren, haben sich in alle Winde zerstreut. Aber das ist in diesem Lebensabschnitt wohl ganz normal. Wir versuchen trotzdem, etwas zu machen. So hab ich im Sommer im Fernsehen ein Interview gegeben und erklärt, wie wichtig und schön es sei, Deutsch zu können.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihren Lebensweg!