Egon Erwin Kisch – zum 75. Todestag

von Mario Kandil

Kalendarium Kandili (12)

Egon Erwin Kisch war gewiß kein Grübler, sondern vielmehr ein eitler Vertreter seiner Zunft. Das läßt sich an Fotos ablesen, auf denen er sich in der Pose des Schauspielers gefällt, immer die Zigarette im Mundwinkel. Und selbstredend ist dieser Zug auch in seinen Texten anzutreffen, die den notorischen Antifaschisten als „rasenden Reporter“ unvergeßlich werden ließen.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte der am 29. April 1885 in Prag geborene Kisch bereits als erster „investigativer“ Journalist in Europa Furore gemacht, denn 1913 hatte er in einer Reportage die Spionagetätigkeit des k. u. k. Generalstabsoffiziers Alfred Redl enthüllt. Nach Kriegsende besonders für das Prager Theater arbeitend, siedelte Kisch 1921 nach Berlin über, wo er vergebens als Dramaturg zu wirken suchte. Danach begann für ihn die Zeit ausgedehnten Reisens rund um den Globus. Mit seinen Reportagen, u. a. Der rasende Reporter (1924), stieg er zu einem Erfolgsautor der 1920er Jahre auf.

Der 1918 in Wien zum Kommunisten gewordene und 1920 aus Österreich ausgewiesene Kisch sah sich im Anschluß an den Reichstagsbrand 1933 zunächst verhaftet, dann aus Deutschland nach Prag abgeschoben. 1934 für einige Monate in Australien unterwegs kehrte Kisch 1935 nach Europa zurück und engagierte sich in verschiedenen Verbänden. Für die Internationalen Brigaden fungierte er 1937 als Berichterstatter aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in Frankreich als „politisch unsicherer Ausländer“ unter Aufsicht gestellt, floh Kisch über die USA nach Mexiko, wo er einen Verlag gründete und über seine Reisen in diesem Land ein letztes Buch  verfaßte. Nach dem Krieg kehrte der Weltenbummler nach Prag zurück, wo ihn am 31. März 1948 der Tod ereilte.

Karl Kraus nannte Egon Erwin Kisch zwar einen „Kehrrichtsammler der Tatsachenwelt“, doch  war dieser ein Stilist mit unverkennbar eigener Handschrift. Kein kühler Beobachter, sondern sich selbst als Objekt der Beschreibung in die Reportagen einbeziehend verkörperte er einen Beobachter seiner selbst. Wenn er sich bezüglich der zu vermittelnden Fakten nicht vollkommen sicher war, gestattete ihm diese Art eines erzählerischen Reportagestils, zum Berichteten auf ironische Distanz zu gehen. Kisch war zwar nicht der Erfinder der literarischen Reportage – vielmehr nahm er Anleihen bei Jack London und Émile Zola –, doch gebührt ihm ein anderes Verdienst: Er verschaffte der Reportage im literarischen Betrieb, zumindest in deutschen Landen, die erste und bleibende Anerkennung.

Über den Autor:

Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.

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