von Alain Felkel
Das Jahr 1716 begann mit einem Schock für das Heilige Römische Reich. Grund war der Ausbruch des Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieges, den die Osmanen ohne jegliche Kriegserklärung eröffnet hatten. Die Hohe Pforte wähnte sich siegessicher und glaubte den Moment gekommen, die durch den Frieden von Karlowitz 1699 verlorenen Gebiete wieder zurückzuerobern. Unter dem Kommando des Großwesirs Damad Ali marschierten 150.000 Mann sengend und mordend auf die strategisch wichtige Donaufestung Peterwardein zu. Hastig raffte der kaiserliche Oberbefehlshaber Prinz Eugen von Savoyen 70.000 Mann zusammen und warf diese dem Feind entgegen. Bei Peterwardein kam es am 5. August 1716 zur Schlacht, die mit dem Sieg der Habsburger endete. Damad Ali fiel, die Türken verloren 30.000 Mann. Hemmungslos plünderten die siegreichen Kaiserlichen tagelang das vor Schätzen überbordende Lager der Osmanen. Dann belagerte Prinz Eugen Temeswar, die Hauptstadt des Banats, dessen Besatzung nach sechs Wochen Widerstand ehrenvoll kapitulierte. Die Eroberung Temeswars brachte Österreich endgültig in den Besitz des Banats. Die neu gewonnene Provinz erhielt noch im selben Jahr eine Sonderstellung als Kron- und Kammerdomäne und wurde so zur kameralen Reichsprovinz unter militärischer Verwaltung. Somit war das „Temescher Banat“, wie das Gebiet ab 1718 genannt wurde, nur dem Hofkriegsrat und der Hofkammer unterstellt.
Als Verwalter der neuen Reichsprovinz setzte Prinz Eugen den lothringischen Kavalleriegeneral Graf Claudius Florimund Mercy ein. Mercy erhielt den Auftrag, Temeswar mit deutschen Katholiken zu besiedeln. Damit war die Idee der großen „Schwabenzüge“ geboren. Ziel waren die Rekultivierung brachliegender Ackerflächen zwecks Gewinnung von Steuermitteln sowie die Rekatholisierung des eroberten Gebietes.
Vorbereitungen für die Siedelungswelle
Die Ausgangslage für die Besiedelung des Banats war ungünstig. Im Jahr 1718 war das Gebiet nach 160 Jahren Türkenherrschaft und Jahrzehnten blutiger Kriege weitgehend öd und menschenleer, da die vorher überwiegend osmanische Bevölkerung infolge der Kriegswirren geflohen war. Einzig 20.000 Serben und Rumänen bewohnten die verwilderte Landschaft, die zu einem großen Teil auch noch versumpft war. Damit die geplante Ansiedelung deutscher Bauern erfolgen konnte, ließ Mercy bereits 1718 deutsche Handwerker für den Festungs- und Straßenbau ins Banat bringen. Wenig später kamen böhmische und österreichische Bergleute ins Banater Bergland, um die Erzminen zu erschließen. Erste Siedlungen entstanden, sodaß sich ein Jahr später 150 Beamte in der Provinz niederließen. Nun waren die Weichen für die bäuerliche Siedelungswelle gestellt, die ab 1722 einsetzte.
Anwerbung und Weiterfahrt ins Banat
Rund 23.000 Siedler folgten den Versprechungen der kaiserlichen Werber, die ihnen mit finanziellen sowie steuerlichen Vergünstigungen das Abenteuer schmackhaft gemacht hatten. Die meisten von ihnen stammten aus Baden, Württemberg, dem Elsaß, Lothringen und der Rheinpfalz. Nur wenige Siedler kamen aus Schwaben, wie die spätere Bezeichnung der deutschen Banatsiedler als „Schwaben“ oder „Donauschwaben“ bis heute fälschlich suggeriert. Wer ins Banat wollte, war meist nicht arm. Vielmehr folgten zweit- oder drittgeborene Bauernsöhne, Handwerker, Lehrer und Ärzte einzeln oder mit ihren Familien dem Lockruf der Werber. Ihre Reise führte sie zum nächsten Donauhafen nach Ulm, wo die Auswanderer amtlich erfaßt wurden. Denn wer sich auf eines der Transportboote nach Wien und Budapest einschiffen wollte, mußte sich zuvor von seiner Erbuntertänigkeit loskaufen und die schriftliche Erlaubnis seines Landesherrn sowie eine Kolonistenstelle vorweisen. War Wien erstmal erreicht, bezuschußte die Krone die Weiterfahrt ins Banat. Die Flußreise selbst wurde mit einem der seit 1712 regelmäßig zwischen Ulm, Wien und Budapest verkehrenden „Ordinari-Schiffe“ vollzogen. Diese „Schiffe“ waren in Wirklichkeit 30 Meter lange Lastkähne mit einem Hausaufbau mittschiffs, die mit überdimensionalen Rudern angetrieben und gesteuert wurden. Der Name dieser Kähne lautete zum Zeitpunkt der Schwabenzüge „Wiener Zille“. Heute sind die Boote eher als „Ulmer Schachtel“ bekannt. Im Banat angekommen marschierten die Deutschen zu Fuß zu ihrem Bestimmungsort weiter.
Der erste Schwabenzug endete dramatisch.
Die Auswanderer des ersten Schwabenzuges wurden in Grenzorten oder in Temeswar und Lugosch angesiedelt. Ihre Tätigkeit bestand neben der Siedlungsgründung in der Entwässerung und Urbarmachung des Sumpflandes. Die Bilanz des ersten Schwabenzuges von 1722-1738 war positiv: Insgesamt wurden im Banat 57 Dörfer gegründet und etwa 23.000 Deutsche angesiedelt. Aber die politische Wetterlage verhinderte eine stringente Weiterentwicklung. Der Sieg der Türken im siebten Österreichisch-Russischen Türkenkrieg brachte 1739 die deutsche Besiedlung des Banats vorläufig zum Erliegen. Türkische Verbände überfielen die neuen Siedlungen, plünderten und brannten sie nieder. Dabei fanden viele Siedler den Tod. Andere wiederum gerieten in osmanische Gefangenschaft und wurden versklavt. Des weiteren forderten Seuchen wie die Pest und das Sumpffieber ihren tödlichen Tribut. Die Niederlage gegen die Türken war nicht die einzige Zäsur im Siedelungsprogramm. Der Österreichische Erbfolgekrieg von 1740-1748 und der Siebenjährige Krieg verzögerten das Siedlungsprojekt. Österreich verlor 1745 Schlesien mit seinen reichen Silberminen. Die Krone brauchte dringend Steuereinnahmen, um die im Krieg entstandenen finanziellen Verluste auszugleichen. Sie faßte einen zweiten großen Schwabenzug ins Auge, stieß jedoch dabei im Banat selbst auf heftigen Widerstand. Seit dem letzten Türkenkrieg hatten heimische Viehzüchter riesige, brachliegende Ländereien durch langjährige Pachtverträge in Beschlag genommen, was die Krone daran hinderte, das Land sofort den Siedlern zu geben. Nur gegen starken Widerstand gelang es dem kaiserlichen Hof, die Grundstücke zurückzuerlangen.
Der zweite große Schwabenzug – die Wende
Dieser fand zwischen 1763 und 1772 statt und brachte weitere 50.000 Siedler ins Banat, darunter viele Veteranen. Zusätzlich wurden zwischen 1744 und 1768 insgesamt 3.130 mißliebige Personen wie Landstreicher, Prostituierte und Wilderer nach Temeswar zwangsumgesiedelt.
Der zweite Schwabenzug erwies sich als entscheidende Wende in dem bis dahin so verlustreichen Siedelungsprojekt. Durch umfassenden Kanalbau gelang in den 1750er-Jahren die Entwässerung der Sumpfgebiete. Die gleichzeitige Umformung von Weideland in Ackerfläche machte aus dem Banat allmählich die Kornkammer Habsburgs. Dritter Schwabenzug Mit der theresianischen Kolonisation fanden die Schwabenzüge noch nicht ihr Ende. Ab 1781 rief Reformkaiser Joseph II. erneut 45.000 deutsche Siedler ins Banat. Zum ersten Mal erhielten dabei auch Protestanten die Erlaubnis, sich dort anzusiedeln. Zuvor waren die Lutheraner Österreichs mittels sogenannter „Transmigrationen“ stets nach Siebenbürgen zwangsumgesiedelt worden. Nun durften sie sich zum ersten Mal als freie Untertanen im Banat ansiedeln, weil der Kaiser 1781 mit dem Toleranzpatent die Gegenreformation in den habsburgischen Erblanden beendet hatte. Auch was die Struktur der Kolonisation anbetraf, hatte sich einiges geändert. Bereits in Deutschland regelten Ansiedelungskommissariate in Koblenz, Frankfurt am Main und Rottenburg am Neckar die formellen Aspekte der Einwanderung ins Temescher Banat, das seit 1778 wieder Bestandteil des ungarischen Königreiches geworden war.
Bilanz
1787 beendete ein kaiserlicher Erlaß die Schwabenzüge. Zu diesem Zeitpunkt wurden im Banat 105 deutsche Ortschaften mit insgesamt 75.000 Einwohnern gezählt. Bis dahin war es ein dorniger Weg für die deutschen Siedler gewesen. Viele von ihnen hatten ihn nicht überlebt oder waren ruiniert in die alte Heimat zurückgekehrt. Noch heute umschreibt ein Sprichwort das harte Leben der deutschen Kolonisten im Temescher Banat mit folgenden Worten: „Die ersten fanden den Tod, die zweiten hatten die Not und die dritten erst das Brot“.