Die Walz – altmodisches „Work &Travel“?

von Reinhild Bauer

Brauchtum (31)

Es ist belegt, daß vor rund 900 Jahren die ersten Gesellen losgezogen sind, um ihre Handwerkskenntnisse und -fertigkeiten in der Fremde zu verbessern. Walz, Wanderjahre, Gesellenwandern oder Tippelei sind die gängigen Begriffe für die Wanderschaft im Zuge der Aus- bzw. Fortbildung der Handwerker. Ursprünglich waren vor allem die Lehrlinge der Baugewerbe unterwegs, nun kann jeder gehen, der Lust dazu hat und den Anforderungen entspricht.

Sobald ein lediger, kinderloser Handwerker unter 30 Jahren den Gesellenbrief in der Tasche hat und noch schuldenfrei ist, kann er sich einem Schacht anschließen und die Walz beginnen. Die derzeit fünf existierenden Schächte sind die Vereinigungen der Handwerker, die auf Walz sind oder waren, die den Rahmen vorgeben und die Einhaltung der Regeln überwachen. Mindestens zwei Jahre lang muß die Wanderschaft währen, wobei die traditionelle Zeit drei Jahre und ein Tag sind. Wichtig ist zudem, daß sich der Tippelbruder nie näher als 50 Kilometer der Heimat nähert und keine Kommunikationsmittel außer Stift und Papier im Gepäck hat. Zudem darf ein Handwerker auf der Walz für seine Arbeit kein Geld annehmen und erhält als Lohn nur freie Kost und Unterkunft. In der Öffentlichkeit gilt es, stets in der handwerkseigenen Tracht mit tadellosem Benehmen aufzutreten, um seinem Beruf keine Schande zu machen. Gesellen auf Wanderschaft gelten als Werbung und Aushängeschild ihres Berufsstandes und ihrer Vereinigung. Die erwähnten Schächte bildeten sich als Gegenpol zu den Zünften aus den Gesellenvereinigungen heraus, und im Gegensatz zu den Zünften haben sie es geschafft, bis heute zu bestehen und in ihrem Bereich Einfluß auszuüben. Vom 12. bis zum 18. Jahrhundert war es sogar Pflicht die Walz absolviert zu haben, wenn man sich um einen Meistertitel bewarb.

Arbeiten, um zu wandern oder wandern, um zu arbeiten? Die Tradition der Walz folgt ganz klar dem zweiten Grundsatz, während das neuere Konzept von „Work&Travel“ sich dem ersten zuneigt. Immer wieder hört man, daß diese beiden Dinge ähnlich seien. Mögen auch die äußeren Erscheinungen gewisse Parallelen aufweisen, ist doch der Kern der Sache grundverschieden. Der schöne Anspruch der Walz, aus allen Regionen und Ländern für seinen Beruf dazuzulernen und die eigenen Techniken bei jedem neuen Lehrmeister noch mehr auszufeilen, ist beim neuen Reisekonzept verlorengegangen. Um die Jahrtausendwende machten sich die ersten „armen Studenten“ auf den Weg und nützten verschiedene Bereiche des bekannten Walzkonzeptes, um mit wenig Eigenkapital die Welt sehen zu können. Mittel zum Zweck ist es, Gelegenheitsarbeiten anzunehmen, um das Geld für die nächste Reiseetappe zu verdienen. So ergeben sich zwischen diesen beiden Reiseformen folgende Ähnlichkeiten: das junge Alter des Reisenden, die Intervalle des Reisens und Arbeitens, die Unsicherheit, was morgen sein werde und das nötige Maß an Eigenständigkeit und Abenteuerlust.

Über die Autorin:

28 Jahre alt, Ehefrau, Mutter und Mitorganisatorin zweier großer Kulturveranstaltungen für die deutsche Jugend; aufgewachsen im Österreichischen Turnerbund und der Bündischen Jugend, Studium zur Volksschullehrerin, anschließend drei Jahre in der österreichischen Politik.

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