Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

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„Die Serben sind stolz auf ihre Geschichte und brauchen keine Umerzeiehung!“

ein Gespräch mit Dr. Dušan Dostanić

Joachim Wiessner: Serbien und Deutschland, das gilt nicht unbedingt als eine Liebesbeziehung. Wie ist der serbische Blick darauf, und worüber reden wir abseits vom Ersten und Zweiten Weltkrieg und von deutschen Tornado-Kampfjets über Belgrad?

Dr. Dušan Dostanić: Selbstverständlich waren die erwähnten Kriege bewußtseinsprägend. Aber die ersten Kontakte reichen bis zum Mittelalter zurück. 1189 traf Nemanja, der Begründer der wohl bedeutendsten mittelalterlichen serbischen Dynastie, in Niš Kaiser Friedrich Barbarossa. Später sind sächsische Bergmänner nach Serbien gekommen, und der serbische Kaiser Stefan Dušan hatte im 14. Jh. eine „alemannische Garde“. In Kämpfen gegen die Türken waren auch die Serben mit den Deutschen auf der Seite der Christen. Die serbischen Wehrbauern waren die Hüter der österreichischen Militärgrenze und dadurch die Verteidiger Europas. Auch Herder und Goethe interessierten sich damals für die Serben und serbische Volkslieder.
Auch nach der Befreiung Serbiens waren die Beziehungen nicht schlecht. Leopold von Ranke zeigte Verständnis für die serbische Geschichte. Ein Teil der serbischen Elite studierte im 19. Jh. in Wien, Berlin oder München. Hegel hat früh Nachhall in Belgrad gefunden. Man könnte sagen, daß die serbischen Konservativen damals proösterreichisch bzw. prodeutsch orientiert waren. Für die serbischen Nationalisten war die deutsche nationale Einigung ein Vorbild.
Im Ersten Weltkrieg waren Serben und Deutsche auf verschiedenen Seiten – aber es gibt verschiedene Formen der Feindschaft. Im Gegensatz zu österreich-ungarischen Truppen, die vor allem in Westserbien systematisch schwere Verbrechen an der Zivilbevölkerung verübt haben, konnte man bei den deutschen Soldaten noch etwas wie Ritterlichkeit spüren. Die Deutschen errichteten nach der Schlacht um Belgrad ein Denkmal zu Ehren der serbischen Verteidiger. Umgekehrt gab es bis 1945 den deutschen Soldatenfriedhof in Smederevo.
Nach dem Ersten Weltkrieg waren die kulturellen Beziehungen recht stark. Beispielsweise spielten Spengler und Der Untergang des Abendlandes eine große Rolle für die serbische Rechte, die ohne ihn schwer zu verstehen wäre. Bis 1941 war die wirtschaftliche Zusammenarbeit gut, vor allem unter dem Ministerpräsidenten Stojadinović, der in Deutschland studiert hatte. Jugoslawischer Gesandter in Berlin war damals der serbische Schriftsteller Ivo Andrić, der mit Carl Schmitt, Ernst Jünger und Arno Brecker befreundet war.
Im Rahmen des Zweiten Weltkrieges gab es in Serbien auch einen Bürgerkrieg. Das einseitige Bild von den Serben als Kommunisten ist vollkommen falsch. Tatsächlich haben die Serben von allen exjugoslawischen Republiken am längsten Widerstand gegen den Kommunismus geleistet. Später, in den Kriegen um das jugoslawische Erbe, wurde die deutsche Politik hierzulande als antiserbisch wahrgenommen: vorzeitige Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, Förderung der Muslime in Bosnien, deutsche Unterstützung der albanischen UÇK-Terroristen und die deutsche Rolle bei der NATO-Aggression gegen Serbien 1999. Die Berichterstattung in Deutschland war damals schwarz-weiß, mit den Serben als der Verkörperung des Bösen.
Fast 900 Jahre gemeinsame Geschichte lassen sich nicht auf eine einfache Formel bringen. Darüber hinaus waren die Beziehungen nicht nur militärischer oder politischer, sondern auch kultureller, philosophischer oder wirtschaftlicher Natur. Manche Deutsche haben uns gut verstanden – Gerhard Gesemann oder Peter Handke –, aber manche wollten voller Arroganz nichts über Serbien wissen, bis heute.

Der Balkan ist für die meisten Deutschen eben immer noch bzw. wieder terra incognita. Was ist der Balkan und insbesondere Serbien dagegen aus Ihrer Sicht?

Schon 1918 hat Hermann Wendel, ein deutscher Sozialdemokrat, mit Recht bemerkt, wie tief diese Unkenntnis war: „Die Serben gar waren bei uns lange Zeit das bestverleumdete Volk Europas“. So etwas hat auch Gerhard Gesemann in Der montenegrinische Mensch gesagt. Er meinte, daß die moderneren europäischen Kulturen aus der balkanischen bzw. serbischen Kultur Belehrung und Erfrischung schöpfen könnten: aus ihren Volksepen und uralten Heldenliedern, der Ursprünglichkeit und Frische ihrer Volkssitten, ihrer Gast- und Blutsfreundschaft, ihrem Ahnenstolz und ihrem nationalen Instinkt, ihrer persönlichen und völkischen Freiheitsliebe, ihrem Gemeinschaftsgeist und ihren Volkswerten.
Für den Deutschen ist der Balkan vor allem das Synonym für etwas Wildes, Aggressives und Primitives. Die erste Assoziation ist immer die „Balkanisierung“, also Instabilität und Zersplitterung. Man vergißt, daß diese Zersplitterung oft raumfremde Ursachen gehabt hat und daß der Balkan sehr lange ein Schlachtfeld fremder Interessen war. Man übersieht auch, daß der Balkan die Wiege der europäischen Kultur ist, weil diese im alten Griechenland geboren wurde. Die balkanischen Serben waren auch das erste europäische Volk, das der amerikanischen Alleinherrschaft und unipolaren Weltordnung instinktiv und ohne Verbündete Widerstand geleistet hat, was ebenfalls eine Verteidigung Europas gewesen ist.

Heute wird zunehmend vergessen, daß der Balkan immer auch Siedlungsgebiet der Deutschen war. Im Königreich Jugoslawien lebten nach 1918 noch rund 450.000 Donauschwaben. Wie gestaltete sich das deutsche Leben auf dem Balkan aus serbischer Sicht?

Die meisten Deutschen lebten in Slowenien, aber auch in Slawonien, Syrmen, Baranja, der Bačka und im Banat, meistens auf dem Land – Bauern also, die vor dem Ersten Weltkrieg kein entwickeltes Nationalbewußtsein besaßen. Im Königreich Jugoslawien gab es eine deutsche Partei, und die Deutschen hatten auch eine gewisse kulturelle Autonomie. Es gab auch eine deutsche Schulstiftung, die vom Staat subventioniert wurde. Bis zum Zweiten Weltkrieg spielte der Kulturbund eine wichtige Rolle im kulturellen Leben der Deutschen im Königreich. Daneben gab es auch andere deutsche Vereine und zahlreiche Publikationen, 1938 allein 24 deutsche Wochenzeitungen. Doch es wäre ein Fehler anzunehmen, daß die deutsche Bevölkerung im Königreich Jugoslawien irgendwie homogen gewesen sei.
Die Beziehungen zwischen Serben und Deutschen waren korrekt und ohne große Turbulenzen. Man muß hervorheben, daß es keine Assimilierungsversuche von serbischer Seite gab, was man nicht über die Kroaten oder Slowenen sagen kann.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es dagegen wie in zahlreichen anderen Teilen Europas am Balkan bzw. in Serbien zu unzähligen Verbrechen gegen Deutsche und zu deren fast vollständiger Vertreibung.

Die Entscheidung, die Deutschen aus Osteuropa zu vertreiben, wurde nicht auf dem Balkan getroffen. Allerdings hatten die Volksdeutschen in Jugoslawien aktiv am Krieg gegen Jugoslawien und an der Zerstückelung des Königreichs teilgenommen. Manche bedeutenden serbischen Historiker behaupten, daß der Konflikt mit Deutschland allerdings nicht im serbischen nationalen Interesse gewesen sei. Die dortigen Volksdeutschen wurden an die Ostfront geschickt, aus ihnen wurde die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division Prinz Eugen formiert. Diese Einheit war für Verbrechen in Serbien und Montenegro verantwortlich.
Deswegen hat die Illegale kommunistische Versammlung (AVNOJ) 1943 die kollektive Schuld der Deutschen erklärt. Im November 1944 entschied die Präsidentschaft des kommunistischen Scheinparlaments, das gesamte deutsche Eigentum zu beschlagnahmen. Das war die Zeit der schweren Verfolgungen und Verbrechen. Die Kommunisten haben aber nicht nur die Deutschen aufs Korn genommen, sondern ebenso alle anderen echten oder vermeintlichen Feinde ihres Regimes. Allein in Serbien sind so 1944-1946 mehr als 60.000 Menschen ums Leben gekommen. Nach wohlgemerkt höchst unvollständigen Daten wurden damals mehr als 15.000 Serben und fast 6.500 Deutsche erschossen. In Konzentrationslagern sind 22.000 Deutsche und 15.500 Serben ums Leben gekommen.
Zum Gedenken an die deutschen Opfer wurden in Serbien zahlreiche Denkmäler gebaut. Die Serben, die selbst aus vielen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens vertrieben wurden, wissen eben, was Vertreibung bedeutet. Nach Meinung von Lazo M. Kostić, der ein serbischer Patriot, Antikommunist und Emigrant war, hatte die Vertreibung der Deutschen auch vom serbisch- nationalen Standpunkt aus betrachtet wenig Sinn. Die Deutschen in Serbien seien eine „gesunde, positive und konstruktive Volksschicht“ gewesen.

Vor lauter Brüssel und Washington hat man im deutschen Raum frühere geopolitische Konzeptionen und insbesondere die Idee eines engeren Zusammenhaltes Mitteleuropas vergessen. War diese Kooperation in der Vergangenheit erfolgreich? Und wie könnte sie heute aussehen?

Das hängt davon ab, was man unter Mitteleuropa versteht. Aber prinzipiell wäre eine serbisch-deutsche Zusammenarbeit eine Notwendigkeit. Man kennt die geopolitische Wichtigkeit des Balkans, und die Serben nehmen dort eine zentrale Position ein. Seiner Lage entsprechend kann Serbien eine Brücke zwischen Ost und West, Deutschland und Rußland sein, aber auch ein Verteidiger Europas. Darüber hinaus besitzen die Serben noch den Willen zur nationalen Selbstbehauptung, ist das Volk noch relativ konservativ und identitätsbewußt. Also wäre Serbien in seinen naturgemäßen Grenzen ein Stabilitätsfaktor und zuverlässiger Wirtschaftspartner für Mitteleuropa. Doch wird diese Zusammenarbeit nicht zustande kommen, solange Deutschland die „Unabhängigkeit“ der serbischen Provinzen Kosovo und Metochien unterstützt oder die Serben in Bosnien und Herzegowina unterdrückt.

Was müßte passieren, damit sich Deutsche und Serben einander wieder annähern können?

Die erste Voraussetzung wäre wohl eine Emanzipation Deutschlands von der amerikanischen Dominanz. Was sind die deutschen Interessen? Der „moralistische Imperialismus“ (Viktor Orban) und die Umerziehung des serbischen Volkes? Weitere Konflikte mit Rußland, die Schaffung eines Großalbaniens auf dem Balkan, Gender-Mainstreaming an serbischen Schulen, ein von Muslimen dominiertes Bosnien und Herzegowina? Auf keinen Fall sind das jedenfalls die Interessen Serbiens. Für uns ist der Kosovo ein Teil Serbiens und unser heiliges Land. Wir haben kein Interesse daran, Krieg mit Rußland zu führen. In Serbien glaubt man noch an die traditionelle Moral und Lebensweise. Die Serben sind stolz auf ihre Geschichte und brauchen keine Umerziehung. Vor allem wollen wir nicht unsere Arbeitskraft nach Westen schicken und stattdessen kulturfremde Migranten aufnehmen. Mit einem Deutschland von Herder und Ranke könnten wir uns gut verstehen. Mit einem Deutschland von Kohl, Merkel oder Baerbock ist es schwierig.

Danke für das Gespräch!

Über den Autor:
Dr. Dušan Dostanić geb. 1981, studierte an der Universität Belgrad Politikwissenschaft (PhD). Forschungsschwerpunkte: Studien des europäischen Konservatismus und insb. die deutsche politische Romantik. 2009-2011 Universitätsassistent, seitdem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für politische Studien in Belgrad und Publizist.

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