von Norbert Prohaska
Im November 1999 war eine Busreisegruppe der ÖLM auf dem Rückweg von Südtirol nach Wien. Nach der Fahrt durch das Pustertal wurde in Lienz Halt gemacht. Der Fahrer machte sich auf die Suche nach dem damals kaum bekannten Kosakenfriedhof, und nach längerem Kurven und mehrmaligem Reversieren wurde das Ziel am Ostrand der Alpenstadt erreicht. Doch groß war die Enttäuschung über den schlechten Zustand, die lieblose Pflege und die mangelnde Aussage zu den Ereignissen vor damals 55 Jahren.
25 Jahre später kam der Berichterstatter auf einer Fahrradreise von den Quellen der Drau bis nach Unterkärnten erneut durch Lienz, am Zusammenfluß von Isel und Drau. Nach ausgiebigen Spaziergängen durch die Stadt, Besuchen des nahen Schlosses Bruck mit den Werken der Maler Albin Egger-Lienz und Franz Defregger sowie einer Besichtigung des Römermuseums Aguntum führte ihn der Weg auch in den östlichen Stadtteil Peggetz zum Kosakenfriedhof an der Drau.
Erfreut konnte er feststellen, daß über Initiative des Österreichischen Schwarzen Kreuzes und mancher Einzelpersonen nunmehr eine würdige Gedenkstätte (Bild) gestaltet worden war, mit sauberen Gräbern, einer 2015 errichteten kleinen Holzkapelle im orthodoxen Stil und einigen aussagekräftigen Informationskästen. Beschädigungen, wie sie allerorts oft durch Kriminelle oder Verrückte verübt werden, konnten an den eingefaßten Grabstellen, den Grabkreuzen aus hellem Marmor sowie den mit einem orthodoxen Kreuz auf der Spitze und einer Dornenkrone versehenen Gedenkobelisken nicht festgestellt werden. Möge es so bleiben! 2021 war im nahem Tristach ein Denkmal für den Ataman General Helmut von Pannwitz abgebaut und zerstört worden.
Am Friedhof war ein Hinweis auf das „Kosakenmuseum“ (9900 Lienz, Hauptplatz 3; +43 6503 144 561, Fr. Pätzold; Fr. 10-12 und 14-17 Uhr) angebracht, das anschließend besucht wurde. Die Räume im ersten Stock sind mit Erinnerungsstücken an jene Tage im Mai und Juni 1945 gefüllt, als in Lienz das schreckliche Drama des Unterganges eines Teils der russischen Kosaken ablief.
Gemäß dem Vertrag von Jalta hatten sich die britischen und amerikanischen Alliierten verpflichtet, der Sowjetunion alle Personen auszuliefern, die zum 1. September 1939 Sowjetbürger waren. Mit dem Rückzug der deutschen Wehrmacht aus der Sowjetunion und aus Osteuropa kamen etwa 30.000 Kosaken mit ihren Familienangehörigen über Oberitalien nach Kärnten und Osttirol. Am 2. Mai verkündete die Kosakenverwaltung eine ehrenvolle Kapitulation gegenüber den Engländern. Die Kosaken gaben so gut wie alle Waffen ab und wurden auf mehrere Lager in der Lienzer Umgebung verteilt. Am 28. Mai wurden die Engländer aber wortbrüchig und lieferten unter Berufung auf eine Scheinkonferenz etwa 2.300 Kosakengeneräle und -offiziere an die sowjetische Geheimpolizei NKWD aus.

Lieber bei den Toten als bei den Roten
Um fünf Uhr früh am 1. Juni 1945 versammelten sich die Kosaken auf dem Hauptplatz im Lager Peggetz zur Liturgiefeier. Als die heilige Kommunion begann, von 20 Priestern und drei Diakonen ausgeteilt, erschien britisches Militär. Dieses stürzte sich auf die versammelten Kosaken (Bild). Schießend, mit Bajonetten, Knüppeln und Kolbenschlägen zerrissen sie die Vorderreihen der unbewaffneten Kosakenmänner, metzelten dabei viele wahllos nieder – Kämpfer und Flüchtlinge, Greise und Frauen, die Kleinkinder in die Erde hineinstampfend, um sie zum Verlassen des Lagers in die Gefangenschaft der Sowjetunion zu zwingen. Viele Frauen sprangen aber in die hochwasserführende Drau, mit dem Wunsch, lieber dort zu ertrinken, als dem Feind lebend in die Hände zu fallen – und rissen ihre Kinder mit sich. Unvorstellbares muß sich dort abgespielt haben!
Die Auslieferung der Kosaken dauerte noch bis Mitte Juni 1945. Bis dahin wurden über 25.000 Kosaken und Kaukasier aus der Umgebung von Lienz in die UdSSR deportiert, darunter mindestens 3.000 alte Emigranten. Über 4.000 Menschen flüchteten in die Wälder und Berge, mehr als 1.000 sind durch die Brutalität der britischen Soldaten zu Tode gekommen.
Ähnliches geschah gleichzeitig in Südkärnten bei der Auslieferung von südslawischen Verbänden an die Sowjets, wo die Briten zur selben Zeit neben kroatischen und serbischen Gefangenen etwa 11.000 geflüchtete Angehörige der Slowenischen Heimwehr an die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee übergaben. Nachdem sich die Wehrmacht nach Norden zurückgezogen hatte, kam es an vielen Orten Sloweniens ohne jedes Gerichtsverfahren zu Massenhinrichtungen von antikommunistischen slowenischen Militärangehörigen; auch Zivilisten und deutsche Kriegsgefangene wurden umgebracht – die Gesamtzahl geht in die Zig- bis Hunderttausende. In Slowenien werden diese Massaker heute als „Tragödie von Viktring“ und auch „Drama um Viktring“ bezeichnet, in Kroatien „Bleiburger Tragödie“.
Nach den weltweiten Greueln im Weltkrieg hatten die Alliierten vollmundig eine neue, bessere Weltordnung versprochen.
Diese Zusicherung wurde jedoch in einer Unzahl von Fällen wieder gebrochen. Erinnert sei an die Baltenauslieferung in Schweden, wo die Regierung unter Ministerpräsident Per Albin Hansson und dessen Außenminister am 16. Juni 1945 ihre Bereitschaft erklärte, all diejenigen auszuliefern, die im Monat Mai 1945 aus dem sowjetisch beherrschten Territorium nach Schweden entkommen waren. Als der Auslieferungstermin für November 1945 zwei Wochen vorher bekannt wurde, kam es zu passivem Widerstand der Wehrmachtssoldaten, von denen ein Teil in einen Hungerstreik trat. Auch Teile der schwedischen Bevölkerung protestierten. Da mehrere schwedische Offiziere die Vollstreckung des Auslieferungsbefehles verweigerten, wurde die Staatspolizei mit der Durchführung beauftragt. Am 30. November 1945, dem ersten Tag der Auslieferung, leisteten die Soldaten Widerstand, es kam zu Suiziden und Suizidversuchen sowie zu Selbstverstümmelungen. Insgesamt wurden etwa 2.650 deutsche und baltische Männer den Sowjets übergeben. Dies erfolgte in einer Zeit der Annäherung Schwedens an die Sowjetunion, mit der 1946 dann ein Wirtschaftsabkommen geschlossen wurde. Erst 1994 empfing der schwedische König Karl Gustav eine Gruppe von 40 Balten, die die Auslieferung überlebt hatten, es „entschuldigte“ sich die schwedische Außenministerin Margaretha af Ugglas im Namen der Regierung für den „übereilten und fehlerhaften Auslieferungsbeschluß“.