Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Wikimedia Commons, FakirNL

Die Graugans und der tote Affe

Zum 120. Geburtstag von Konrad Lorenz

von Roman Steiner

Am 7. November jährt sich zum 120. Mal der Geburtstag von Konrad Lorenz, einem der herausragenden deutschsprachigen Naturwissenschaftler und Nobelpreisträger des 20. Jh., der mit seinen bahn-brechenden Arbeiten auf den Gebieten der Verhaltensforschung, aber auch mit seinem schriftstellerischen Talent einen bleibenden Eindruck hinterließ – dessen Ruhm aber, so muß man 34 Jahre nach seinem Tod leider feststellen, mittlerweile zunehmend verblaßt. Sein leidenschaftliches Streben, mithilfe der Evolutionstheorie das Verhalten von Tieren und schlußendlich auch die Entwicklung des menschlichen Geistes zu verstehen, machte Lorenz in seinem späteren Leben zunehmend zu einem scharfen Kritiker der modernen Zivilisation, die seiner Meinung nach eine Gefahr für das Ökosystem Erde und damit auch für sich selbst darstellen würde. Hochbetagt setzte er sich da-her sowohl in der Anti-Atomkraft-Bewegung als auch im Kampf gegen das Wasserkraftwerk Hainburg ein, der schlußendlich in das erfolgreiche „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ mündete. Er wurde damit auch ein wichtiger Mitbegründer der grünen Bewegung in Österreich.

Am Anfang stand Nils Holgersson

Geboren am 7. November 1903 in Wien als Sohn von Adolf und Emma Lorenz war Konrads frühes Leben von einer Umgebung geprägt, die seine Neugierde an der Natur und sein frühes Interesse an Tieren förderte. So bekam er bereits in seiner frühen Jugend aus Begeisterung für das Buch Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen Entenküken geschenkt. Wie Lorenz später erzählte, wollte er ursprünglich Graugänse, allerdings erlaubte seine Mutter dies aus Sorge um den Gartensalat nicht. Somit verbrachte Konrad bereits als Kind viele Stunden damit, Tiere zu beobachten und zu skizzieren. Auf Wunsch des Vaters studierte er zunächst trotzdem Medizin, zuerst in den Vereinigten Staaten, dann in Österreich und schloß hier 1928 auch sein Studium ab. Seine große Leidenschaft für die Zoologie veranlaßte ihn jedoch bald, neben seiner Stelle als Universitätsassistent bei Ferdinand Hochstetter auch ethnologische Forschung an einer eigenen Forschungsstation zu betreiben und schlußendlich das Fach zu wechseln.

In den 1930er-Jahren begann Lorenz seine wegweisende Verhaltensforschung und setzte die Studien fort, die er in seiner Kindheit begonnen hatte, nun aber tatsächlich an Graugänsen. Dabei konzentrierte er sich besonders auf die angeborenen Verhaltensweisen von Tieren. Anhand von Martina, einem 1935 geborenen Graugansküken, beobachtete er, daß Tiere eine angeborene Tendenz haben, sich nach der Geburt an bestimmte Objekte zu binden, ein Phänomen, das als Prägung bekannt ist.

Lorenz promovierte bereits 1933 an der Universität Wien in Zoologie. Seine Dissertation, die sich mit dem komplexen Balztanz der Graugans befaßte, läutete nicht nur den Beginn seiner Karriere ein, sondern legte auch den Grundstein für einen ganz neuen Zweig der Biologie, die Tierpsychologie, und später die vergleichende Verhaltensforschung. Trotz der Tatsache, daß Lorenz ein vehementer Vertreter der Ideen Darwins war, konnte er sich 1936 in Wien habilitieren und eine Lehrbefugnis für „Vergleichen-de Anatomie und Tierpsychologie“ erhalten.

Urknall der vergleichenden Verhaltensforschung

Wie Rupert Riedl, ein Schüler Konrad Lorenz’, später betonte, war gerade die medizinische Ausbildung von Lorenz ein wichtiger Faktor, denn er wandte die ihm bekannte Homologietheorie, ursprünglich in der Wiener Schule der Anatomie für die Morphologie von Gewebe entwickelt, direkt auf das Verhalten von Tieren an. Die Erkenntnis, daß man eine vergleichende Morphologie von Verhaltens-weisen aufstellen könne, wurde so zum Urknall der vergleichenden Verhaltensforschung.

Hier ist eine kurze Erklärung notwendig, was die Verhaltensforschung eigentlich sei. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte ein späterer Lehrer von Konrad Lorenz, Oskar Heinroth, daß gewisse Bewegungsweisen, zum Bei-spiel bei der Balz oder der Brutpflege, bei Tieren einer Art immer gleich abliefen. Dieses Instinktverhalten sei fix im Erbgut verankert und werde durch sogenannte Schlüsselreize ausgelöst. Sie glichen damit einem Programm, das durch einen externen Reiz immer ablaufe und eine körperliche Reaktion hervorrufe. Lorenz wählte hier ursprünglich einen sehr mechanistischen Ansatz und beschrieb den Vorgang mithilfe des psychohydraulischen Modells. Darin wird beschrieben, daß eine Instinkthandlung sowohl von internen als auch von externen Faktoren abhänge. Werde dann eine gewisse Reizschwelle überschritten, laufte die Handlung ab; unterhalb dieser Schwelle erfolge keine Reaktion. Mittlerweile wird diese Theorie allerdings als veraltet angesehen, wobei interessanterweise Klaus Taschwer in seiner gemeinsam mit Benedikt Föger verfaßten Lorenz-Biographie lapidar anmerkte, die Lorenzschen Untersuchungsmethoden seien „auch deshalb rar geworden, weil sie viel zu aufwendig sind, ehe sie Ergebnisse zeitigen. Das Verhaltensrepertoire eines Tieres zu beschreiben, nimmt Jahre in Anspruch – im Forschungsbetrieb des 21. Jh. mit seiner Maxime des ‚publish or perish‘, also des ‚Publizierens oder Verlierens‘, ein schieres Ding der Unmöglichkeit.“

Schlußendlich wechselte Konrad Lorenz allerdings ins Deutsche Reich, da man hier seiner Verhaltensforschung wesentlich aufgeschlossener gegenüberstand. 1938 erhielt er ein Forschungsstipendium für seine Arbeit über Störungen des Instinktverhaltens bei Hausgänsen. Ein Thema, das ihn für den Rest seines Lebens beschäftigen sollte, denn es führte ihn zum kulturpessimistischen Gedanken, daß ein ähnlicher Effekt, den er „Verhausschweinung“ nannte, aufgrund des Wegfalls „natürlicher“ Selektionsmechanismen in der zivilisierten Gesellschaft auch beim Menschen wirk-sam sein könnte.

Letzter Nachfolger von Immanuel Kant und Nobelpreisträger

1940 übernahm Konrad Lorenz die Professur für vergleichende Psychologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Königsberg und wurde so zum letzten Nachfolger von Immanuel Kant. Die hier entstandenen Arbeiten und die Beschäftigung mit Kant führten direkt zur Evolutionären Erkenntnistheorie, die er erstmals während seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft auszuarbeiten begann.

Nach dem Krieg setzte Lorenz in Österreich und später am Max-Planck-Institut in seiner eigenen Forschungs-stelle seine wissenschaftliche Tätigkeit fort, die schließlich 1973 in der Verleihung des Nobelpreises gipfelte, den er gemeinsam mit seinem langjährigen Kollegen Karl von Frisch und mit Nikolaas Tinbergen erhielt. Ebenfalls 1973 erschien sein philosophisches Hauptwerk Die Rückseite des Spiegels: Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens, in dem er seine Gedanken zur evolutionären Erkenntnistheorie erläuterte, dem Zusammenspiel von genetischen und zivilisatorischen Einflüssen auf das Erkenntnisvermögen des Menschen.

Darin erklärt er, wie sich kognitive Prozesse und der Erwerb von Wissen entwickelt hätten. George Gaylord Simpson beschrieb den Vorgang so: „Um es grob, aber bildhaft auszudrücken: Der Affe, der keine realistische Wahrnehmung von dem Ast hatte, nach dem er sprang, war bald ein toter Affe und gehört daher nicht zu unseren Urahnen“. Lorenz war dabei von der Idee fasziniert, daß der menschliche Geist und seine Fähigkeit zum Wissen durch evolutionäre Kräfte geformt worden seien und vertrat die Ansicht, daß die Struktur des menschlichen Geistes unser Verständnis der Welt sowohl erhellen als auch begrenzen könne.
Entscheidend dabei sei, so Lorenz, daß der menschliche Geist eine neue Art des Lebens darstelle. Der evolutionäre Vorteil sei dabei, daß das rein genetische System nur lang-sam, über Jahrtausende über die Selektion von Mutationen reagieren könne – wohingegen das neue geistige System Adaptionen innerhalb von Sekunden durchführe. Die Mechanismen dahinter blieben gleich, nur die Geschwindigkeit nehme zu.

Vernichtende Kritik an der modernen Zivilisation

In dem ursprünglich als Kapitel von Die Rückseite des Spiegels geplant gewesenen Buch Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit übte Lorenz dann vernichtende Kritik an der Haltung der modernen Zivilisation gegenüber der Natur. Er identifizierte Tendenzen wie Überbevölkerung, die Zerstörung natürlicher Lebensräume und Umweltverschmutzung als Bedrohung für Natur und Menschheit und plädierte für ein harmonischeres Zusammenleben mit der Natur, bei der der technische Fortschritt nicht auf Kosten des ökologischen Gleichgewichts gehe.

Beitrag teilen

Facebook
X
Email
Telegram
Print
WhatsApp