von Magdalena S. Gmehling
Er ahnte es längst. Die Mischung aus europäischem Selbsthaß, einem Amalgam aus Christentum und linken Ideen, aus rassistischen Selbstbezichtigungen und einem nie erlebten Werteverfall werden endgültig zur Abschaffung der vaterländischen Kultur führen. Jean Raspail, vielleicht der letzte wirklich katholische Romancier, der wußte, was Ahnenstolz und Ehre sind, verstarb am 13. Juni 2020 in Paris. Werfen wir einen Blick auf jene Werke, die in deutscher Sprache erschienen sind und durch aktuelle Ereignisse bestätigt wurden – zum 100. Geburtstag des am 5. Juli 1925 geborenen Schriftstellers.
Ein investigatives Kamerateam brachte es vor einiger Zeit an den Tag. „NGO“-Schiffe verfrachten schwarzafrikanische Migranten. Die NGO-Schlepper werden entsprechend bezahlt. Die Gelder für die „Umvolkung“ fließen aus Stiftungen. Warum kolportiere ich diese Meldung? Sie verifiziert die Visionen Jean Raspails. Geboren vor 100 Jahren in Chemillé-sur-Dême im französischen Departement Indre-et-Loire und einer großbürgerlichen Familie entstammend ist er nicht nur ein meisterhafter Reiseschriftsteller, sondern auch ein souveräner Vertreter des grotesk-apokalyptischen Romans. Der Romancier ist glühender Monarchist, fröhlicher Pessimist und traditionsverbundener Katholik. Wie kein anderer ist er berufen, den ungeheuren Kampf irregeleiteter Humanität und verweichlichten Gutmenschentums, dem von ihm so genannten „Big Other“, darzustellen. Distanz zum Zeitgeist befähigte ihn zu einer hellsichtigen Vorhersage künftiger Probleme.
Europa und das christliche Abendland kapitulieren
Es ist informativ, die Umstände kennenzulernen, unter welchen der prophetische Zukunftsroman Das Heerlager der Heiligen (Le Camp des Saints) bereits 1971/72 entstand. Der Autor schrieb das Buch in Boulouris an der Mittelmeerküste in der monumentalen Villa „Le Castelet“. Sie war ihm samt großer Bibliothek zur Nutzung überlassen. In einem visionären Schreibrausch gestaltet er das Szenarium einer gewaltfreien Invasion durch eine Million verelendeter Inder. Ausgelöst durch eine Hungersnot sticht die Armada des Elends in See. Interventionen, humanitäre Hilfsangebote und die heuchlerische Einmischung der Kirchenfunktionäre scheitern. Die Barmherzigkeitsdebatte entartet zur Groteske. Noch bevor die menschliche Flutwelle in den Ostertagen an der südfranzösischen Küste strandet, hat sich die marode Gesellschaft dort selbst zersetzt. Die Bevölkerung flieht. Das restliche Europa und somit das christliche Abendland kapitulieren.
Die große Kunst des Autors besteht darin, das Geschehen aus der Perspektive sehr verschiedener archetypischer Personen zu schildern. Der Leser erlebt die dramatische Aktualität globaler Unfähigkeit, mit Migrantenströmen umzugehen. Calguès, ein emeritierter Literaturprofessor, erwartet in seinem vornehmen alten Haus an der Küste die Horden bei Kaviar und Champagner. Mit einem Teleskop verfolgt er die Landung. Der Journalist Clement Dio und seine eurasische Freundin propagieren Solidarität. Die Frau wird allerdings von farbigen Gesinnungsgenossen vergewaltigt und bestialisch ermordet. Flugzeuge des Vatikans und des Ökumenischen Rates der protestantischen Kirche stürzen ab. Der Präsident im Élysée-Palast, die Stabschefs, Polizeiführer und regionalen Präfekten müssen erleben, daß ihre Truppen desertieren, verführt von linken Agitatoren. Eine chaotische Massenflucht setzt ein. Schließlich übernehmen die Einwanderer vom Ganges den Süden Frankreichs. Das Buch endet mit dem Gerücht, daß auch in Indonesien und Südamerika wilde Horden aufbrechen würden, um nach Europa zu reisen …
Ein weiterer auf Deutsch erschienener Roman kann als Komplementärstück zu dem royalistischen Sire (1991)gelten, welcher die heimliche Königsweihe des Bourbonenprinzens Pharamond thematisiert: Der Ring des Fischers. Erzeichnet die Geschichte des zweiten Papsttums von Avignon zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas nach. In Raspails Deutung ist die Papstlinie aus Avignon nie erloschen, sondern wird, „von einem Benedikt auf den nächsten“, im Geheimen weitergereicht. Die Handlung beginnt im Jahre 1378 in Rom. Gregor XI. ist gestorben und der Pöbel erzwingt die Wahl Bartolomeo Prignanos. Als Urban VI. besteigt er den päpstlichen Thron. Von Gewissensängsten getrieben opponieren einige Kardinäle und werden mit brutalen Mitteln zur Räson gebracht. In Fondi wählen sie mit Robert von Genf einen weiteren Papst, Clemens VII. Dieser residiert unter dem Schutz des französischen Königs Karl V. in Avignon. Da sich weder ein Schiedsspruch noch eine Abdankung erreichen lässt, wird 1409 das Konzil von Pisa einberufen. Dieses setzt die inzwischen gewählten Nachfolger Benedikt XIII. (Avignon) und Gregor XII. (Rom) ab und beruft Alexander V. Eine endgültige Schlichtung kann jedoch erst auf dem Konzil von Konstanz (1414-18) mit der Wahl Martins V. erreicht werden.
Aus den historischen Fakten zaubert Raspail ein kunstvolles Gewebe sich durchdringender Ereignisse und Ebenen.
Benedikt XIII. – mit bürgerlichem Namen Pedro de Luna – trotzt 93jährig in dem Felsennest Peniscola allen Versuchen, ihn zur Abdankung zu zwingen. Dort stirbt er schließlich, nicht ohne vorher vier Kardinäle ernannt zu haben, welche die Sukzession garantieren. So formiert sich im Geheimen eine Reihe von Nachfolgern, welche, alle mit dem Namen Benedikt belegt, bis in unsere Zeit ein bewegendes Alternativpapsttum verkörpern. Jener Bettler Benedikt, der dann zu Beginn von der Ring des Fischers am Weihnachtsabend 1993 in Rodez um Brot bittet, der in verlassenen Kathedralen geheime Messen feiert, ein müder alter Mann, der per Anhalter fährt und milde Gaben mit unnachahmlicher Würde entgegennimmt – er also ist nicht nur Priester, sondern Papst. Und er will nach Rom. Raspail gelingt es, durch Rückblenden und zeitliche Verknüpfungen das Geschehen allmählich transparent zu machen. Natürlich interessiert sich das offizielle Rom des 21. Jahrhunderts für dieses apokryphe Schattenpapsttum. In heikler Mission und im Auftrag seiner Heiligkeit beauftragt der mit geheimen Spezialfällen vertraute Bischof Cassini den litauischen Pater Wladimir Nykas. Wladimir spürt den alten Mann schließlich am Monte San Savino auf.
Jean Raspail sucht das Verborgene, eine im höchsten Sinne fruchtbare Geheimlehre ewig verknüpfter Mysterien.
Der Roman Sieben Reiter verließen die Stadt ist eine weiterer Meilenstein in seinem Werk. Das im Roman zentrale fiktive franko-germanische Adelsgeschlecht der Pikkendorffs, über ganz Europa verzweigt, ist eine Verkörperung der Idee Raspails vom Abendland, die dem Schriftsteller im Heute schmerzlich abhandengekommen zu sein scheint. Um die Ursachen des Niederganges ihres Kleinfürstentums zu ergründen, brechen unter Führung des jungen Silve von Pikkendorff sieben Reiter auf. Sie wollen das Ende nicht untätig abwarten. Sie fliehen nicht, sie verraten nichts, sie hoffen nichts, sie erlauben sich keine Illusionen, sie bejahen einen verlorenen Kampf auf verlorenem Posten für eine verlorene Sache – auch literarisch eines der eindrucksvollsten Werke Raspails.
Ähnlich hartnäckig trotzt ein blutjunger Widerständler in Die Blaue Insel der mangelhaften französischen Wehrbereitschaft im Zweiten Weltkrieg und verteidigt ohne jede Aussicht auf Erfolg Verlorenes. Im Roman Der König jenseits des Meeres beziehen Nachkommen rechtmäßiger Herrscher ebenfalls verlorene Posten. Die Realpolitik kann damit nicht umgehen. So entfaltet der König jenseits des Meeres seine Wirkung, alles andere als im Verborgenen, bis es zum dramatischen finalen Kampf zwischen dem wurzellosen Jetzt und der tiefverwurzelten Vergangenheit kommt.
Wer das Eigene aufgibt, so warnt Raspail, hört bald auf zu existieren.
Im November 2019 brachte der rührige Karolinger Verlag aus Wien literarische Reiseberichte von Jean Raspail unter dem Titel Die Axt aus der Steppe heraus. Schilderungen von untergehenden Minderheiten, beispielsweise der letzten Ainus, der Ureinwohner Japans, wechseln mit weltweit aufgespürten ethnischen „Kuriositäten“. So begegnen versprengte französische Kämpfer auf deutscher Seite an der Ostfront des Zweiten Weltkrieges tief in den russischen Wäldern den späten Nachfahren auf dem Rückzug von Napoleons Grande Armee ebenfalls versprengter Landsleute. Verirrtes, Erloschenes und Erlöschendes, die letzten ihrer Art, bereits gezeichnet mit dem Todessiegel – das ist auch in der Axt Raspails Thema, das er indes nicht nur mit Liebe, sondern auch mit viel Humor ausbreitet. Wer das Eigene aufgibt, so warnt der Schriftsteller, der so viele Ethnien kurz vor ihrem Ende aufgesucht und kennengelernt hat, hört auf zu existieren. Ohne Vorfahren gibt es keine Nachfahren. In diesen Essays durchlebt Raspail „erneut den nomadischen Teil“ seines Daseins, das ihn rund um den Erdball geführt hat.
Seltene Liebe zu den deutschen Landen und den Deutschen an sich
Zu fragen bleibt, was den Franzosen Raspail mit deutschen Landen gedanklich verbindet? Wir sehen es in dem expliziten und alle Nationen übergreifenden Wissen um den hohen Wert einer Volks- und Kulturgemeinschaft. Auch Vertriebene und Gescheiterte haben das Recht, gemäß ihrer jeweils eigentümlichen kulturellen Prägung und ihrer Ideale zu leben. Raspail hatte eine gerade unter rechten Franzosen vom alten Schlag seltene Liebe zu den deutschen Landen und den Deutschen an sich, wie er immer wieder bekannte. Die titelgebende autobiographische Episode der Axt, die Übergabe eines Familienerbstückes, einer imposanten uralten Waffe an Jean Raspail, verdeutlicht seine Treue zur Tradition, zur Schönheit und Erhabenheit der Geschichte.
Dem verdienstvollen Übersetzer Konrad Markward Weiß ist es zu verdanken, daß den Lesern deutscher Zunge diese meisterhaften Essays in kongenialer Sprache dargeboten werden – ebenso wie Die Blaue Insel und Der König jenseits des Meeres. Der Schriftleiter des ECKARTs schätzt sich glücklich, gegen Ende des langen Lebens Jean Raspails dem großen Schriftsteller und Visionär etliche Male persönlich begegnet zu sein und bis zu dessen Tod mit ihm in freundschaftlicher Verbindung gestanden zu sein.