von Daniel Führing
Ein Pilger im Heiligen Land wird in Jerusalem die Präsenz zweier großer deutscher Kirchen wahrnehmen. Die größere evangelische Erlöserkirche mit einer Propstei unweit der Grabeskirche in der historischen Altstadt und ein wenig außerhalb der Stadtmauern, neben dem armenischen Teil der Altstadt auf dem Zionsberg, das katholische Kloster der Dormitio-Abtei. Beide Kirchen wurden auf Veranlassung von Kaiser Wilhelm II. nach dessen „Orientfahrt“ 1889 errichtet.
Kaiser Franz Joseph, der „König von Jerusalem“
Neben diesen Kirchen gibt es noch weitere markante Bauwerke deutscher Architektur und Geschichte in Jerusalem: so etwa die Pilgerhäuser des katholischen Paulushauses des Vereins vom Heiligen Land beim Damaskustor und unweit davon im muslimischen Viertel der historischen Altstadt das österreichische Hospiz. Dort kann man einen Apfelstrudel verkosten und Kaiser Franz Joseph, der auch den Titel „König von Jerusalem“ trug, in Kreuzritterpose auf einem Gemälde in der Kapelle sehen. Auch der Wasserturm mit der Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg, neben dem u.a. das evangelische Krankenhaus steht, ragt auf den Hügeln Jerusalems imposant empor.
Wer sich in Jerusalem auf Wanderschaft Richtung Bethlehem begibt, wird mit Erstaunen mehrere deutsche Inschriften auf einigen schönen Villen im sogenannten ottomanischen Bauhausstil entdecken. Bei genauerer Orientierung wird deutlich, daß man sich in einem Stadtteil befindet, der auf Neuhebräisch HaMoshava HaGermanit heißt, zu Deutsch: Deutsche Kolonie. Die Deutsche Kolonie ist ein seit dem 19. Jh. bis heute bestehender südöstlich der historischen Altstadt gelegener Stadtteil Jerusalems.
Er wurde im 19. Jh.von einer protestantischen Splittergruppe, der Templergesellschaft, begründet. Diese christlichen Siedler, die nicht auf die Tempelritter zurückgehen, erwarteten das nahende Ende der Zeit und wollten einen geistigen Tempel im Heiligen Land errichten. In Anlehnung an neutestamentarische Bibelstellen sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß sie sich selbst und ihre Gemeinschaft, wie die Gründungsurkunde vermerkt, durch „Beachtung des Gesetzes, des Evangeliums und der Weissagung“ als „lebendige Bausteine“ eines Gotteshauses verstanden.
Deutsche Siedler: vom Wirtschaftsfaktor ins Internierungslager
Als das Heilige Land unter osmanischer Herrschaft stand, gründete die Templergesellschaft mehrere Siedlungen im damaligen Palästina, etwa im später hauptsächlich von deutschen Juden besiedelten Haifa, bei Bethlehem die Siedlung Waldheim, die Kolonie Wilhelma bei Jaffa sowie auch Sorona, einen heutigen Stadtteil Tel Avivs. In Sorona befindet sich heute noch der zweite Amtssitz des israelischen Regierungschefs in einem der zahlreichen ehemaligen Templerhäuser. Es waren übrigens jene Siedler, die in dieser Gegend des heutigen Tel Avivs Eukalyptusbäume pflanzten sowie die Sümpfe der Umgebung trockenlegten und damit überhaupt erst bewohnbar machten. Auch stellten die Templer einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in den Siedlungsgebieten im damaligen Palästina im Bereich der Landwirtschaft, des Weinbaus und des Transportwesens dar – gründeten sie doch unter anderem den ersten Kutschendienst zwischen Haifa und Akkon.
Alle genannten Bauwerke sind steinerne Zeugen einer deutschen Missions- und Siedlungsgeschichte, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1871-1914 hatte. Das Selbstverständnis dieser Siedler brachte der damalige Architekt, Archäologe und Missionar Conrad Schick wie folgt zum Ausdruck: „Wer einigermaßen die Dinge kennt (…), wie diesem Lande wieder aufzuhelfen sein möchte, kommt bald dem Schlusse nahe, daß dies nur durch die Cultur, die das Christentum mit sich bringt, geschehen kann.“ Nach Kriegsbeginn 1939 wandelte die britische Mandatsregierung die vier landwirtschaftlichen Kolonien der Templergesellschaft in Internierungslager für die im Lande verbliebene deutsche Bevölkerung um. 1950 forderten die israelischen Behörden die letzten noch in Palästina verbliebenen Templer zum Verlassen des Landes auf. Am 13. April 1950 verließ der letzte Tempelvorsteher Jerusalem Richtung Australien. 80 Jahre Wirken dieser Templer waren damit zu Ende. Die Erinnerung an diese Zeit halten Inschriften wach wie „Wünschet Jerusalem Glück! Es möge wohlgehen denen, die Dich lieben.“ Die Gottes- und Pilgerhäuser in Jerusalem haben ihren Betrieb nie eingestellt und markieren bis heute eine deutsche Präsenz im Heiligen Land.