Forschungen in Siebenbürgen bei Sachsen und Landlern
Wo gibt’s ein adliger Geschlecht,
da keiner Herr und keiner Knecht?
(aus dem Lied: Ich bin ein Sachs …)
von Roland Girtler
Von 1992 bis 2018 forschte ich mit Studentinnen und Studenten der Universität Wien jährlich jeweils für zwei bis drei Wochen in Siebenbürgen in dem Dorf Großpold, das auf Rumänisch Apoldu de Sus heißt. Großpold liegt in der Nähe von Hermannstadt, rumänisch Sibiu. Bei unseren Forschungen, bei denen wir bei deutschen Bauern wohnten, interessierte uns vor allem die alte, sich wandelnd Bauernkultur der Deutschen – der Sachsen und Landler – in Siebenbürgen. Im Wesentlichen beziehen sich die folgenden Ausführungen aber auch auf die Banater Schwaben. Zur demographischen Situation vermerkt Wikipedia: „Von ehemals etwa 800.000 Rumäniendeutschen lebten gemäß des Zensus’ von 2011 noch etwa 36.000 und nach der Erhebung von 2022 noch etwa 22.900 Rumäniendeutsche in Rumänien“. Es sieht so aus, als ob mit dem angeblichen Segen der EU nun doch das vollendet werde, was Nicolae Ceauşescu wollte, nämlich die Abschaffung des rumänischen Kleinbauern unter dem Banner des Fortschritts. Landler und Sachsen, die beide von den Rumänen als „Deutsche“ bezeichnet werden, genießen in Rumänien ein hohes Ansehen. Mir erzählte einmal ein Rumäne, in rumänischen Zeitungen sei zu lesen gewesen, man wolle nicht, daß die in Rumänien lebenden deutschen Bauern auswanderten.
In Siebenbürgen leben seit dem 12. Jahrhundert die Sachsen
Die Sachsen wurden vom ungarischen König Géza vor allem als Bauern und Handwerker gerufen. Sie kamen vorrangig aus dem Gebiet der Mosel, ihre Sprache, das Sächsische, ist eine moselfränkische Sprache, die mit dem Luxemburgischen verwandt ist. Die Bezeichnung Sachsen hat nichts mit dem Land Sachsen in Deutschland zu tun, sondern soll soviel wie „deutsche Siedler“ bedeuten. Die Sachsen wurden zur Zeit der Reformation evangelisch und sind es heute noch. Im Landtag zu Thorenburg in Siebenbürgen im Jahre 1557 wurde erstmals in einem europäischen Land der Grundsatz der Glaubensfreiheit und der religiösen Toleranz beschlossen. Dies spricht für die Weite der alten Kultur der Sachsen.
Bereits 1710 wurde der Passauer Fürstbischof Johann Philipp von Lamberg auf das Vorhandensein von Geheimprotestantismus im Salzkammergut aufmerksam gemacht. Es wird ihm mitgeteilt, daß in Goisern regelmäßig Zusammenkünfte abgehalten würden und dabei das Abendmahl in beiderlei „Gestalt“ genommen werde. Es wird der Verdacht ausgesprochen, daß die Mehrzahl der Bauern und Salzarbeiter heimliche Protestanten seien. Um weitere Abwanderungen zu verhindern, werden einige „Verdächtige“ von den Verantwortlichen des Salzoberamtes, den Pflegern der Herrschaft Wildenstein, dem Hofschreiber von Hallstatt und dem katholischen Pfarrer von Goisern vorgeladen. Als sich einige „widerspenstig zeigen“, werden sie in Ketten gelegt und eingesperrt (nach G. Buchinger, in: Hellmut Klima: Die Deportation der Landler)
Verbannung aus dem „Landl“, der Keimzelle der Bauernaufstände
Die Verbannung der „gefährlichen“ oberösterreichischen Protestanten nach Siebenbürgen begann 1734 durch Kaiser Karl VI. Ein noch größeres Ausmaß an Umsiedlungen veranlaßte in den Jahren 1752 bis 1756 die Tochter Kaiser Karls, Maria Theresia. Sie ließ über 3.000 evangelische Österreicher nach Siebenbürgen bringen. Etwa 2.000 davon kamen aus dem „Landl“, wie das Gebiet zwischen Wels, Gmunden und Vöcklabruck genannt wird. Nach diesem „Landl“ – hier begann 1625 der große oberösterreichische Bauernaufstand unter Stefan Fadinger – nannte man schließlich alle aus Österreich nach Siebenbürger verbannten Evangelischen. Als Maria Theresia 1780 starb, erließ Josef II. das berühmte Toleranzpatent, nach dem auch die Evangelischen unter bestimmten Voraussetzungen ihre Religion ausüben konnten. Die Verfolgung und Verbannung der Evangelischen aus Österreich hörte damit auf. In der evangelischen Stadtpfarrkirche von Hermannstadt erinnert das sogenannte „Landlerfenster“ an die Verbannung bzw. „Einwanderung“ der österreichischen Protestanten, der „Landler“ in Siebenbürgen.
Zur Zeit der theresianischen Verbannung war es vor allem das sächsische Dorf Großpold – neben Neppendorf und Großau – in das evangelische Österreicher gebracht wurden. Die Landler haben bis heute ihren alten österreichischen Dialekt erhalten, ebenso wie die Sachsen ihr altes Sächsisch, das mit dem Moselfränkischen und dem Luxemburgischen verwandt ist. Landler und Sachsen sind heute allerdings untereinander verheiratet und verschwägert. Interessant ist, daß, obwohl alle Deutschen in Großpold das Landlerische und das Sächsische beherrschen – neben dem Schriftdeutschen –, ihnen doch bewußt ist, daß sie von ihrer direkten Abstammung her entweder Sachsen oder Landler sind. Für den Besucher Großpolds ist es also höchst spannend zu hören, wie das Landlerische und das Sächsische nebeneinander existieren und wie beides von derselben Person je nach Gesprächspartner eingesetzt wird – siehe dazu die im Anhang angeführte Literatur.
Traurige Unikate: Kriegerdenkmäler mit Frauennamen
Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Rote Armee nach Westen vorstieß und in Rumänien auf deutschsprechende Ortsbewohner traf, bedeutete dies für viele Männer und Frauen der Landler und Sachsen Zwangsarbeit und Verschleppung. Traurige Schicksale verbinden die Deutschen Siebenbürgens mit dieser Zeit. Viele starben in Rußland. Die einzigen Kriegerdenkmäler, auf denen neben Männernamen auch Frauennamen zu lesen sind, habe ich in Siebenbürgen gesehen. Die Russen hatten also auch Frauen als Kriegsgefangene nach Rußland deportiert.
In Siebenbürger Tracht nur am Oktoberfest – der „Verrat“ der Ausgewanderten
Ab 1990 wanderten viele Deutsche aus Rumänien aus. Es waren vor allem die Bundesrepublik Deutschland und Österreich, das sie anzog und auch aufnahm. Die wenigen Alten, denen ich heute in Großpold und Neppendorf begegne, sind traurig darüber, daß nach dem Niedergang des Kommunismus’ vor allem die jungen Leute nach Österreich und Deutschland für immer ausgewandert sind. So bedauert auch Frau Anneliese Pitter, die brave Bauersfrau, der wir viel verdanken, daß ihre Kinder und viele ihrer Freunde und Nachbarn Großpold verlassen hätten. Sie meinte dazu zu mir: „Eigentlich fühle ich mich verraten von denen, die weggezogen sind. Wären sie dageblieben, so hätten wir eine schöne Gemeinschaft im Dorf. Viele haben gesagt, sie bleiben hier, sie fahren nicht weg. Aber sie sind doch ausgewandert. Es war wie eine Pest nach 1989, immer mehr wanderten aus.“ Als ich Anneliese fragte, ob sie und ihr Mann Andreas, der leider inzwischen verstorben ist, weiterhin in Großpold bleiben wollten, meinte sie: „Das weiß ich nicht. Wenn es nach mir ginge, würde ich nur hier zum Freidhof (Friedhof) ziehen. Aber ganz alleine können wir auch nicht hierbleiben. Aber solange noch ein paar Deutsche da sind, bleiben wir auch da.“ Sie kränkte sich und meinte, daß „viele Landler und Sachsen, die von hier weggezogen sind, im Ausland sich besonders heimatverbunden fühlen, sie tun gerade so, als ob sie aus Rumänien vertrieben worden wären, was aber nicht stimmt.“ Anneliese meinte daher einmal zu mir: „Es ist komisch, daß Leute, die ausgewandert sind, beim Oktoberfest in München in ihrer Siebenbürger Tracht auftreten. Die geben dort mit ihrer Kultur an, obwohl sie diese schon lange aufgeben haben.“
„Mir gfallts hier!“
Über die Ausgewanderten aus Großpold sprach ich vor einigen Jahren auch mit Herrn Nietsch, er ist leider schon verstorben. Dessen Kinder leben schon seit einiger Zeit in Deutschland. Herr Nietsch war, bevor er erkrankte, noch ein echter Bauer, der mit seinem Wagen und seinem Pferd täglich auf seinen Acker oder in den Weingarten fuhr. Einmal begleitete ich ihn mit dem Fahrrad, als er eine Kuh, die an dem Wagen mit einem Strick angehängt war, zu einem Stier in den Nachbarort zu einem rumänischen Bauern brachte. Herr Nietsch freute sich, wenn ich ihn mit Studenten und Studentinnen besuchte. Er lud uns gerne zum Wein ein und erzählte uns aus seinem Leben. Herr Nietsch antwortete einmal auf meine Frage über die Weggezogenen mit Trauer in der Stimme: „Es kommt keiner mehr zurück.“ Ihm selbst gefällt es jedoch hier in Großpold, er liebt die alte bäuerliche Kultur. Auf Landlerisch sagt er: „Mir gfallts hier.“ Er denkt nicht daran wegzuziehen, auch wenn es hier nur mehr wenige Landler gibt. Er hob sein Weinglas und sagte: „Es ist schade, daß die Jungen weg sind. Sie sind nach Deutschland gegangen“. In diesen Worten zeigt sich das große Problem, das für weite Teile Osteuropas typisch zu sein scheint, nämlich, daß die jungen Leute ihre Heimat fliehen und in die reichen Länder des Westens auswandern. Es gibt allerdings Junge, die hier bleiben, weil sie entweder einen Rumänen bzw. eine Rumänin geheiratet haben oder sich sonstwie in die rumänische Kultur integriert haben. Aber das sind nur wenige. Ich freue mich, daß es noch Leute wie Herrn Nietsch und Frau Pitter, die liebenswürdige Anneliese, gibt. Sie sind die letzten Träger einer alten deutschen Bauernkultur. Die Trauer von Frau Pitter und Herr Nietsch über die Ausgewanderten ist mitunter jedoch mit Fröhlichkeit gepaart. Herr Nietsch rief mir gerne zu: „Ja, der Herr Professor! Ich hole gleich einen Wein aus dem Keller, den müssen Sie trinken!“ Ich ließ mir ein Glas einschenken und leerte es auf das Wohlsein der letzten deutschen Bauern hier in Großpold.
Die Treue der Alten
Die alten Bauern, die es körperlich nicht mehr schaffen, ihren Hof zu bewirtschaften, finden Aufnahme in einem modernen Altersheim in Hermannstadt, dem so genannten „Dr. Carl Wolff-Heim“. In diesem schönen Heim sprach ich des öfteren mit meinen alten Freunden Herrn und Frau Piringer, früheren Kleinbauern in Großpold. Manchmal spielte ich mit Herrn Piringer Schach. Aus Freundschaft schenkte er mir seine silberne Taschenuhr, die er 1944 beim Rückzug der Deutschen Wehrmacht, in der er dienen mußte, vom Regimentskommandanten erhalten hat, weil er bei der Kesselschlacht von Tscherkassy jungen Soldaten das Leben gerettet hatte. Diese Uhr halte ich in Ehren. Die Vorfahren der Landler und Sachsen sind als freie Leute hierher nach Siebenbürgen gekommen. Mit diesem Ideal der Freiheit war ein gewisser Stolz, aber auch Toleranz verbunden. Daher heißt es in dem Lied, das mir ein alter Herr im Garten des Altersheimes in Hermannstadt vorsang:
Ich bin ein Sachs, ich sags mit Stolz, vom alten edlen
Sachsenstamm! Wo gibt’s ein adliger Geschlecht,
da keiner Herr und keiner Knecht ?
Nein, Männer bieder, deutsch und frei!
Mein Sachsenvolk, dir bleib ich treu !
Der alte Mann im Heim meinte noch : „Ich harre aus und bin treu, aber was ist mit den anderen, die in dieser bösen Zeit Hals über Kopf ihre Heimat verlassen haben?“.
Literatur:
Martin Bottesch, Franz Grieshofer und Wilfried Schabus, Die Siebenbürgischen Landler. Eine Spurensicherung, Wien 2002.
Erich Buchinger, Die „Landler“ in Siebenbürgen, München 1980
Roland Girtler, Verbannt und vergessen. Eine untergehende deutschsprachige Kultur in Rumänien, Linz 1992 (wieder aufgelegt unter dem Titel Die Landler in Rumänien)
Roland Girtler (Hg., gem. mit Studentinnen und Studenten), Die Letzten der Verbannten, Wien 1997
Roland Girtler, Echte Bauern, vom Zauber einer alten Kultur, Wien 2002
Hellmut Klima, Die Deportation der Landler
http://www.georgschnell.de/dr.klima/ablage/deportation.html
Dieter Knall, Aus der Heimat gedrängt. Letzte Zwangsumsiedlungen steirischer Protestanten nach Siebenbürgen unter Maria Theresia. Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark Bd. 45, Graz 2002
Julius Strnadt, Der Bauernkrieg in Oberösterreich, Wels 1902