von Walter Haasler
Die Einwanderer kamen, immer wieder und in Gruppen. Verteilt über Jahrzehnte wurde das Land so zu einem klassischen Einwanderungsland. Meist waren es besondere Gegebenheiten in Europa wie Krisen, Kriege und Verfolgung, die die Menschen dazu veranlaßten, nach Paraguay zu kommen. Aber auch aus wirtschaftlichen Gründen und wegen des Abenteuers. Die Einwanderer kamen einerseits während der Conquista – der Eroberung durch die Spanier – und der Kolonisierung durch diese und andere Europäer in der Zeit, als Spanien seine Vizekönigreiche in Amerika vom Norden bis in den Süden, ausgehend von der Karibik, besiedelte; dazu kamen ab Mitte des 18. Jh. Menschen aus allen Teilen der Welt, vertrieben die Einheimischen und eigneten sich Land und Rohstoffe an.
Paraguay löste sich 1811 von Spanien und dem Vizekönigreich La Plata, isolierte sich jedoch, was erst Jahrzehnte später zu einem eigenen, unabhängigen lokalen Wohlstand führte. 1864 kam es zu einem Krieg mit den Nachbarländern Argentinien, Brasilien und Uruguay, der als Triple-Allianz-Krieg (1864–1870) bekannt ist und der größte amerikanische Genozid des 19. Jh. war. In dem Bestreben, das Land wieder neu zu besiedeln und aufzubauen, wurden ab dem letzten Viertel des 19. Jh. die Grenzen für Einwanderer geöffnet, und sie bekamen Land versprochen.
Insbesondere nach dem Krieg in Europa von 1870/71 kamen deutschsprachige Gruppen aus verschiedenen Regionen und brachten ihre Kultur und ihr Wissen mit. Dies war die erste größere Welle von Einwanderern, deren Nachfahren heute vor allem in der Umgebung von San Bernardino und Altos leben. Die nächste Welle folgte nach dem Ersten Weltkrieg. Deutsche und Deutschstämmige aus den sowjetischen Gebieten Rußlands und der Ukraine begannen sich im Süden des Landes und im Chaco anzusiedeln, wobei es sich im letzteren Gebiet um die Gruppe der Mennoniten handelte.
Nietzsches Schwester und ein Oktoberfest in Lateinamerika
Auch die durch die Schwester von Friedrich Nietzsche 1886 gegründete Kolonie Nueva Germania „als Zufluchtsort der arischen Rasse“, wurde wiederbesiedelt. Weitere Siedler kamen nach San Bernardino und Altos sowie nach Hohenau im Süden Ostparaguays. Im Jahr 1919 gründeten deutsche Siedler die Colonia Independencia in der Nähe der Stadt Villarica. In dieser Gegend wird noch heute eine aktive deutsche Kultur gelebt, und es werden z.B. auch Fleisch und Wurst nach deutscher Tradition hergestellt. Die Stadt ist im ganzen Land für ihr „Oktoberfest“ bekannt.
Neue Heimat für Juden und Nationalsozialisten
Die dritte Welle bestand aus deutschen Juden, die unter schwierigsten Bedingungen nach Asunción kamen, da sie von den USA und anderen Staaten abgewiesen worden waren. Hier bauten sie ihre Gemeinde mit einer starken Verwurzelung in ihrer deutsch-jüdischen Kultur auf. In den 30er-Jahren hatten die Deutschen in Paraguay auch einen starken faschistischen Einfluß, so wurde beispielsweise die Deutsche Turnanstalt als Verein gegründet. Nach dem Krieg wiederum kamen viele Menschen mit einer nationalsozialistischen Vergangenheit aus dem nun besetzten Deutschland. Auch diese verteilten sich über das ganze Land. Nach dem Bürgerkrieg von 1947 kamen weitere Familien aus Deutschland, die meisten von ihnen Vertriebene. So findet man in Paraguay auch einige Familien aus Schlesien und Ostpreußen.
Abenteurer und Finanzflüchtlinge, Pensionisten und Impfgegner
In den 50er-Jahren kamen eher abenteuerlich gestimmte Immigranten. Dies blieb bis Ende der 60er-Jahre, als die Einwanderung zunehmend von „Finanzflüchtlingen“ geprägt wurde. Nach der deutschen Wiedervereinigung kam dann die Welle der Pensionisten, Menschen mit bescheidenen Einkünften, die von den preisgünstigen Lebensbedingungen angelockt worden waren. Sie siedelten sich dort an, wo sie andere deutschsprachige Familien antrafen, da sie selbst die Sprache nicht beherrschten. Dies verstärkte sich während der Corona-Pandemie. Vor allem kamen Familien, die Impfungen ablehnten und sich in Paraguay persönliche Freiheit versprachen.
Anzumerken ist noch, daß viele Nachkommen der eingewanderten Familien heutzutage in gehobenen Funktionen in der Regierung vertreten sind. Ebenso ist festzustellen, daß die Wirtschaft erheblich von ihnen beeinflußt wird. Die deutsche Kultur und Eigenschaften wie Fleiß, Pünktlichkeit und Handschlagqualität werden im Land von der einheimischen Bevölkerung geschätzt.