von Erik Lommatzsch
Seit über hundert Jahren aktiv
Im Vorfeld des Volkstrauertages veranstaltet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) alljährlich seine Haus- und Straßensammlung. Engagiert ist dabei stets Christa Kohli-Dietrich aus Görlitz, die trotz ihrer inzwischen 92 Jahre unverdrossen um Spenden bittet. Sie gehört zu den tausenden ehrenamtlichen Unterstützern des VDK, die in der breiteren Öffentlichkeit vor allem in dieser Zeit wahrgenommen werden – wenn sie an belebten Orten mit ihren münzklappernden Dosen auf sich aufmerksam machen und die Passanten dazu bewegen, den einen oder anderen Geldbetrag einzuwerfen. An der Sammlung beteiligt sich auch die Bundeswehr, übrigens eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen man heutzutage Uniformträger im Straßenbild sehen kann. Am Volkstrauertag selbst, der in der BRD am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, zwei Wochen vor dem 1. Advent begangen wird, findet eine Reihe von Gedenkveranstaltungen statt, etwa im Bundestag, in den Länderparlamenten oder auf einer Vielzahl von Friedhöfen. Die Institutionalisierung eines jährlichen Gedenktages geht auf den VDK zurück, eine erste Festlegung gab es 1925, das jeweilige Datum wechselte mehrfach, bevor es 1952 zu der noch heute gültigen Entscheidung für den Novembersonntag kam.
Ein formalisierter Totengedenktext, welcher auf den Veranstaltungen des VDK verlesen wird, wurde erstmals 1961 vorgelegt.
Dieser Text beschränkte sich auf die „in beiden Weltkriegen gefallenen, ihren Verwundungen erlegenen und in der Kriegsgefangenschaft verstorbenen Soldaten“, die „im Gefolge der damaligen Wehrmacht“ Getöteten, die „durch Waffeneinwirkung in der Heimat und auf der Flucht“ Umgekommenen sowie diejenigen, die wegen „rassischer Zugehörigkeit“ oder aufgrund „ihrer politischen oder religiösen Überzeugung“ Opfer wurden und schließlich auf die „Kriegstoten aller an den Kriegen beteiligten Völker“. Inzwischen erfuhr das Totengedenken durch „Anpassungen“ eine erheblich Erweiterung der „Opfergruppen“. Ob dies, abgesehen von der Erwähnung der Bundeswehrsoldaten, die im Auslandseinsatz zu Tode kamen, ein Gewinn ist, sei dahingestellt.
Im Inland selbst unterhält der VDK lediglich drei Kriegsgräberstätten. Dazu gehört beispielsweise der Waldfriedhof Halbe in Brandenburg, mit 28.000 Toten des Zweiten Weltkrieges einer der größten seiner Art in der BRD. Das Wirkungsfeld des VDK liegt – entgegen eines weit verbreiteten Irrtums – seit 1954 vor allem außerhalb der Bundesrepublik. Der Volksbund selbst erklärt, er widme sich „im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, Kriegstote im Ausland zu suchen und zu bergen, sie würdig zu bestatten und ihre Gräber zu pflegen. Der Volksbund betreut Angehörige und berät öffentliche und private Stellen in Fragen der Kriegsgräberfürsorge, auch international“. Die „Kriegstoten“, von denen hier die Rede ist, sind zum weit überwiegenden Teil Soldaten. Mithin handelt es sich um Soldatenfriedhöfe, eine Bezeichnung, die zu Unrecht zunehmend ungebräuchlich wird. Zuständig ist der VDK für 832 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten mit etwa 2,8 Millionen Kriegstoten. Diese stammen zum allergrößten Teil aus dem Zweiten und dem Ersten Weltkrieg, mitunter allerdings auch aus Auseinandersetzungen des 19. Jh.
„Ihre Gräber liegen verlassen in fremder Erde, fern der Heimat. Nicht eine deutsche Hand bewahrt sie vor trauriger Verödung oder langsamem Verfall.“
Als Gründungstag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge gilt der Tag der ersten Mitgliederversammlung, der 16. Dezember 1919. Ausgegangen war die Initiative von drei ehemaligen Gräberoffizieren, von denen Siegfried Emmo Eulen hervorzuheben ist, der zunächst als Geschäftsführer fungierte und von 1933 bis zu seinem Tod 1945 dem VDK vorstand. Dieser verstand sich von Anfang an als private Organisation in Ergänzung zu staatlichen Aktivitäten. Der ursprünglich nicht vorgesehene Zusatz Volksbund sollte die übergreifende Verankerung in der gesamten deutschen Gesellschaft unterstreichen. Die Notwendigkeit des Vereines betonte ein 1920 publizierter „Unterstützungsaufruf“, in dem es unter anderem hieß: „Mehr als zwei Millionen Deutsche gaben ihr Leben für das Vaterland. Ihre Gräber liegen verlassen in fremder Erde, fern der Heimat. Nicht eine deutsche Hand bewahrt sie vor trauriger Verödung oder langsamem Verfall.“ Dem entgegenzuwirken, war Hauptanliegen des VDK. Unterzeichnet war der Aufruf von einer großen Zahl Prominenter, etwa dem damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer oder dem Maler Max Liebermann. 1928 hatte der VDK bereits über 112.000 Mitglieder. Friedhöfe wurden ausgebaut. In der NS-Zeit wurde statt des Volkstrauertages ein „Heldengedenktag“ begangen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnte der VDK in den westlichen Besatzungszonen seine Arbeit bald wieder aufnehmen.
Angelegt wurden zunächst über 400 Kriegsgräberstätten in der BRD, bevor die Zuständigkeit weitgehend auf das Ausland ausgerichtet wurde. Bereits 1952 war zwischen der Bundesrepublik und Luxemburg ein Kriegsgräberabkommen geschlossen worden, das erste seiner Art. 1956 zählte der VDK etwa 600.000 Mitglieder. Der Ostblock war von dessen Tätigkeit zunächst nahezu völlig ausgenommen. Eine Instandsetzungszusage und eine Besuchsgenehmigung für einige Kriegsgefangenengräber seitens der Sowjetunion im Jahr 1972 galten als großer Fortschritt. Entsprechender „Nachholbedarf“ war nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gegeben. Dafür steht etwa die Kriegsgräber- und Gedenkstätte Rossoschka, die 1999 eingeweiht wurde. Hier ruhen über 60.000 der bei Stalingrad Gefallenen und Vermißten.
Auch nach Beginn des Krieges zwischen Rußland und der Ukraine 2022 konnte der VDK seine Arbeit in diesen Ländern fortsetzen. So wurde etwa Mitte letzten Jahres in der Region Kursk, wo 1943 eine der größten Schlachten des Zweiten Weltkrieges stattfand, die mit einer deutschen Niederlage endete, ein damals eilig angelegtes Massengrab freigegeben. 220 deutsche Gefallene, deren Erkennungsmarken zwar nicht mehr lesbar waren, von denen allerdings eine Namensliste existiert, wurden im Auftrag des VDK von einer russischen Suchtruppe exhumiert. Die zunächst in einem Depot eingelagerten Gebeine sollen auf dem deutschen Soldatenfriedhof Besedino beigesetzt werden. Das erfolgreiche Wirken des VDK, aber auch die Notwendigkeit dieses Wirkens im ehemaligen Ostblock zeigt sich an der Bergung des einmillionsten Kriegstoten – Zählung seit 1992 – im August letzten Jahres. Seine letzte Ruhe fand der im Oktober 1944 gefallene Sanitätsgefreite Max Beyreuther aus Halle/Saale im August letzten Jahres auf der Kriegsgräberstätte Kaunas in Litauen.
Jede Kriegsgräberstätte mahnt auf ihre Weise zum Innehalten.
Sei es der größte in Frankreich gelegene deutsche Soldatenfriedhof in Andilly (Département Meurthe-et-Moselle) mit 33.100 Toten, sei es, mit idyllischem Blick auf den Gardasee, der Friedhof im italienischen Costermano, wo auch ein 14jähriger Hitlerjunge auf dem Gräberfeld zu finden ist. Sei es das „Golgatha von Ostpreußen“, wie der Friedhof in Bartossen aufgrund der drei weithin sichtbaren Kreuze genannt wird, auf dem 2017 gleich 3.000 bei Bauarbeiten in Thorn gefundene Kriegstote eingebettet werden konnten. Oder seien es die „Totenburgen“ im ägyptischen El-Alamein oder beim Pordoijoch in den Dolomiten, zugleich der höchstgelegene Friedhof des VDK. Die Totenburgen waren typisch für den Stil des langjährigen Chefarchitekten des Volksbundes, des 1959 verstorbenen Robert Tischlers. Oder sei es der Friedhof im französischen Gravelotte, wo noch 2020 sechs Preußen aus dem Krieg von 1870/71 beigesetzt werden konnten.
Seit 1953 führt der VDK internationale Jugendbegegnungen durch. Im Zuge dieser Arbeit kam das Motto „Versöhnung über Gräbern“ auf, ein Motto, das sich der VDK zu eigen machte. Es wäre ein hervorragender Ansatz auch für das weitere Wirken, ohne Beteiligung am weiteren Verhärten der gesellschaftlichen Fronten und ohne aktuell-politische Positionierungen. Das Bemühen um Neutralität ist erkennbar, will aber nicht immer ganz gelingen. Als Präsident des VDK amtiert seit 2017 Wolfgang Schneiderhahn, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, der den Verein jedoch in politisch deutlich ruhigere Fahrwasser gesteuert hat als sein Vorgänger Markus Meckel.
Analog zum VDK gibt es in anderen Ländern ähnliche Organisationen. So etwa das ebenfalls 1919 ins Leben gerufene Österreichische Schwarze Kreuz (ÖSK). Dieses ist allerdings nicht in erster Linie auf das Ausland orientiert.
Der VDK sieht mit Sorge in seine Zukunft.
Die Bereitschaft zur staatlichen Unterstützung – immerhin ein Drittel des Budgets – sinkt, das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 74 Jahren, innerhalb der letzten 15 Jahre sank die Mitgliederzahl von 170.000 auf unter 70.000. Der Staat sollte sich zum einen gewärtig sein, daß mit dem VDK eine privatrechtlich organisierte Institution Aufgaben wahrnimmt, die originär in seine Zuständigkeit fallen würden und die entsprechende Förderung, gerade hinsichtlich des Zustandes einiger der Friedhöfe, eher ausweiten. Zum anderen sollte sich der VDK – wie auch das ÖSK – aufgrund der Tatsache, daß die Zahl der lebenden, unmittelbaren Angehörigen der Gefallenen immer weiter sinkt, in Richtung einer Neuorientierung aufgeschlossen zeigen: Weg vom Trauern und Erinnern, hin zum Gedenken, das, in den Worten eines VDK-Mitarbeiters, „keines biographisch-persönlichen Bezuges zum Geschehen“ mehr bedürfe, sondern sich der „tradierungs- und vermittlungswürdigen Aspekte des Gewesenen“ bewußt sei.