Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Der österreichische Deutsche

von Caroline Sommerfeld

Vor einigen Jahren besuchte ich in Begleitung des Jüngsten die Sonnwendfeier der Österreichischen Landsmannschaft. Am Feuer erklangen die Lieder, die dort immer gesungen werden. In einer Pause stieß mich der Sohn an und sagte: „Aber Mama, die singen immer von Deutschland, das sind doch alles Österreicher!?“ In einem anderen Zusammenhang wurde ich in einer Wiener Lokalität gefragt, wo ich die Sommerferien zu verbringen gedächte. Als ich „In Deutschland, bei der Verwandtschaft“ antwortete, entgegnete mir mein Gegenüber in rügendem Ton: „Wir sind in Deutschland!“.

Es könnte sich um rein nostalgische, trotzig-„deutschnationale“ Milieubegebenheiten handeln – und doch glaube ich, daß hinter dieser Identifikation österreichischer Staatsbürger mit Deutschland mehr steckt. Wenn ich davon ausgehe, daß Deutschsein aus drei Elementen besteht, nämlich der Abstammung, der Staatsbürgerschaft und der Volksseele, dann trennt die heutigen Österreicher nur das zweite Element von ihren bundesdeutschen Landsleuten. Abstammung und Volksseele kann man nur schwer trennen. Abstammungsdeutscher zu sein, ist jedenfalls nicht mit einem entsprechenden genetischen Nachweis erledigt, wir sind ja keine Zuchteber.

In einem Waldviertler Wirtshaus unterhielt ich mich mit einem pensionierten Landwirt. Dieser sprach mich, unschwer heraushörend, daß ich nicht nur nicht aus der Gegend, sondern aus dem Norden stammen müsse, auf meine Herkunft an. Schleswig-Holstein war ihm ein Begriff und was für ein schöner! „Des is quasi ma zwate Hamat!“, sagte er und erklärte mir ausführlich, in welchen holsteinischen Städten und Dörfern er mit Schweinehaltern zusammengearbeitet habe und ständig von Niederösterreich dort hinaufgefahren sei, um die gesunde Vermehrung seiner Zuchteber zu gewährleisten: „Des is a notwendig, wissen S’, damit S’ net in Inzucht degenerieren.“ Das Tierische ist erledigt, wenn der Züchter die Samenproben von und nach Holstein expediert, das Menschliche besteht darin, eine erste und manchmal auch eine zweite Heimat haben zu können. Dabei war dem Züchter bewußt, daß es dabei um mehr als nur um die gemeinsame deutsche Sprache geht. Ich fragte ihn direkt: „Was hat Ihnen denn an der Mentalität der Norddeutschen gefallen?“ Das Zusammensitzen beim Korn nach getaner Arbeit habe ihm getaugt und ihn an die Wirtshaushocker seiner Heimat erinnert.

Der österreichische Deutsche und der Norddeutsche sind von ihrer Mentalität her eigentlich grundverschieden – aber elementare Geselligkeit eint sie. Der norddeutsche Bauer ist berüchtigt für seine Maulfaulheit, wahrscheinlich wurde in der erwähnten Runde wenig gesprochen. Es kommt offensichtlich nicht auf Gesprächsthemen an, sondern auf die Gemütsstimmung.

Götz Kubitschek hat zuletzt die Abstammung zum Oberbegriff eines rechten Verständnisses vom Volk gemacht. Aus ihr erfolgten „Zugriffsweisen auf Welt, Umgebung, Tun, Denken, Empfinden“. Abstammung gilt hier als Ausgangspunkt für eine Teilhabe an deutscher Kulturfülle: ein Bayer würde, bei allem Austausch über die Alpen hinweg, eben einen bayrischen Barock pflegen – so sezession.de. Der Bayer kann als Übergangsgestalt zwischen dem Preußen und dem Österreicher gelten – er ist Bundesbürger, aber Gefühlsmensch. Seine „Zugriffsweise auf die Welt“ ist dem österreichischen Deutschen bei weitem näher als dem Preußen. Der Österreicher ist in seinem Wesen „barock“, während der Preuße „gotisch“ ist – wenn man in solchen Begriffen versucht, das Deutschsein der Hiesigen zu beschreiben, überschreitet man Abstammung und Staatsbürgerschaft und landet beim Lebensgefühl.

Bayrische Übergangsgestalten vom maulfaulen Holsteiner zum barocken Österreicher

Innerhalb ein- und derselben Volksseele können verschiedene solcher Lebensgefühle dauerhaft ausgeprägt sein, genauso wie in der Seele eines einzelnen Menschen verschiedene Gefühle vorhanden sind. Die Volksseele prägt über die Jahrhunderte sehr konkrete Formen aus, die sich in Kunst, Architektur und Religion sinnfällig ablesen lassen, ebenso wie an historischen Gegebenheiten. Das „bairische Stammesherzogtum“ umfaßte im Jahre 788 n. Chr. Salzburggau, Pinzgau, Traungau und Attergau – aber auch Passau, Freising, Altötting und Regensburg. Wir sind also eines Stammes!

Die heutigen Österreicher sind in diesem Sinne Deutsche wie Bayern, auch wenn eine Staatsgrenze beide trennt – und um geistig nicht „in Inzucht zu degenerieren“ haben sie das Glück der gemeinsamen Sprache und Geselligkeit sogar mit den maulfaulen Holsteinern.

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