von Susanne Dagen
Der Einbruch ins Dresdner Grüne Gewölbe und die Macht der Remmosa
Der 25. November 2019, der Tag des Juwelenraubes aus dem Grünen Gewölbe, sollte als „Schwarzer Montag“ in die Dresdner Stadtgeschichte eingehen. Man spricht davon, daß diese Tat ein Anschlag auf die Identität Sachsens sei. Selbst die zugezogene Generaldirektorin der Staatlichen Kunstmuseen Dresden, Marion Ackermann, verweist in diesem Zusammenhang auf die Geschichte der Schatzkammer seit 1729 und darauf, daß damit starke Emotionen verbunden seien. Es handelt sich um die Kronjuwelen Sachsens. Dirk Syndram, damaliger Chef des Grünen Gewölbes, zieht einen Vergleich mit den Schätzen, die England im Tower verwahrt. Das gesamte Sicherheitskonzept habe nicht funktioniert. Das System, so Syndram, sei in der Theorie hervorragend, habe aber den Praxistest nicht bestanden. Und: Die Täter wußten genau, was sie taten.
Der Publizist und Jurist Butz Peters begleitete als Beobachter 45 Prozeßtage im Verfahren gegen die Beschuldigten des Einbruchs im Grünen Gewölbe, die – wortreich vorgetragen durch ihre Verteidiger – behaupteten, zu Unrecht auf der Anklagebank zu sitzen. Als Beschuldigte sitzen da sechs junge Männer. Alle rechnet die Berliner Polizei dem Berliner Remmo-Clan zu. Alle sind Mitte zwanzig, alle wurden in Berlin geboren – als Deutsche. Es sind keine Unbekannten. Da ist zum Beispiel Wissam Remmo, 1996 in Berlin geboren, er hat sechs Geschwister und lebt nach einer abgebrochenen Tischlerlehre von Sozialleistungen wie viele andere Mitglieder seiner Familie auch. Mit 21 Jahren wird er wegen des Goldmünzendiebstahls im Bode Museum festgenommen – die Szene nennt ihn seither den „Meisterdieb“. Das macht ihn stolz. Prestige und Anerkennung ist die eigentliche Währung im Clan. Anderthalb Jahre nach seiner Verurteilung durch das Landgericht Berlin und mehr als vier Jahre nach dem Goldmünzendiebstahl hat Remmo noch immer keine Ladung zum Strafantritt erhalten. Berliner Verhältnisse, so Butz Peters, der während des Prozesses auf sein Wissen und seine Erfahrung als Jurist und im speziellen mit Clankriminalität in der BRD zurückgreifen konnte. Denn anhand dieses Falles wurden nun die verschiedensten Facetten der Sicherheitslücken und ebendieser Clankriminalität sichtbar.
Die mediale Aufmerksamkeit war groß. „Dresden gibt eine Ahnung dessen, was Ernstfall bedeutet.“
Fraglich sei, ob der Staat noch garantieren könne, „was seine wichtigste Aufgabe und zugleich Rechtfertigung zu allen Zeiten war und ist: Leib und Leben seiner Bürger zu gewährleisten und ihnen die Angst zu nehmen“. „Für die Einbrecher in Dresden ist es zu leicht gewesen. Im Zweifelsfall ist ein hochpreisiger Juwelier besser gesichert.“ Bei der Eröffnung des historischen Grünen Gewölbes im Jahr 2006 sprach der damalige Generaldirektor Martin Roth noch davon, daß die Sammlung gesichert sei „wie Fort Knox.“ Peters schreibt: „Quintessenz eine Woche nach der Tat: Beute und Täter sind verschwunden. Dafür hat Dresden eine neue Touristenattraktion: das Einstiegsfenster ins Grüne Gewölbe.“
Peters beschreibt in seinem Buch drei Phasen: Nach den Unschuldsbekenntnissen im ersten Teil folgte eine lange Beweisaufnahme, bei der deutlich wurde, wie akribisch der Einbruch vorbereitet worden war. Fast zwei Jahre lang dauerte die Planung. Die zweite Phase beschreibt die große Mühe, den Tätern auf die Spur zu kommen. Das liest sich wie ein Krimi, der allerdings seine Spannung aus der Faszination speist, es mit der Realität zu tun zu haben. In der dritten Phase des Verfahrens änderte die Verteidigung ihre Strategie. Sie bot einen Teil der Beute und Geständnisse gegen Strafrabatt an. Butz Peters schreibt fortan nur über den „Deal“, auf den sich die Staatsanwaltschaft einließ: 18 der 21 gestohlenen Schmuckstücke wurden, teilweise stark zerstört, zurückgegeben – die Angeklagten saßen fortan entspannt im Gerichtssaal.
Die Dresdner bemühten sich dennoch auch auf eigene Faust, an die noch fehlenden Prachtstücke zu gelangen und saßen in Antwerpen dabei einem Schausteller auf, der sich als Edelsteinhändler ausgab. 40.000 Euro verließen die Brusttasche des Verwaltungsdirektors Burkhardt, man kehrte mit leeren Händen nach Dresden zurück – welch eine Schmach!
Die Plädoyers der Verteidiger sind kurz. Durch den „Deal“ gibt es nicht mehr viel zu holen. Im Mittelpunkt stehen die Rückgabe der Beute und die Geständnisse, dazu gibt es noch ein paar verbale Hiebe für den Freistaat Sachsen und die Verantwortlichen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: Strafmildernd seien die unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen des Grünen Gewölbes zu berücksichtigen. Auf niedrigstem Niveau hätten sie sich befunden. Es mute wie ein Wunder an, daß die Verantwortlichen noch in Amt und Würden seien.
Die letzten Kapitel widmen sich dem Aufstieg der Remmos in Berlin und der Ausbildung von Parallelgesellschaften. Zum Remmo-Clan rechnet die Polizei derzeit über 1.000 Personen. Ein starkes Clanzusammengehörigkeitsgefühl führe regelmäßig zu einer Parallelgesellschaft, so Peters. Die wesentlichsten Faktoren, die in der Analyse Die Macht der Clans von Heise und Meyer-Heuer die größte Rolle für das Entstehen von Parallelgesellschaften spielten, seien die völlig verfehlte Integrationspolitik der BRD in den 1980er- und 1990er-Jahren sowie die Rechtsauffassung und das Selbstverständnis der Clanmitglieder. Die Remmos betrachten Deutschland als Beute. Und der Jurist Butz Peters konstatiert zum Ende des Buches: „Schwacher Staat, starker Clan.“
Butz Peters
Der Clan und die Juwelen
Der Einbruch ins Dresdner Grüne Gewölbe und die Macht der Remmos
riva 2023, 299 S., € 22,70