von Benedikt Kaiser
Kaisers Zone (16)
Der angloamerikanische Luftkrieg im Winter und Frühjahr 1945 traf viele Städte im Deutschen Reich. In besonderem Maße wurden die Städte des damaligen Mitteldeutschlands bzw. heutigen Ostdeutschlands heimgesucht. Markante Beispiele sind Magdeburg im Januar, Chemnitz im März und Halberstadt im April 1945: Zehntausende Zivilisten starben, altehrwürdige Innenstädte wurden ausgelöscht. Kriegsrelevant war dies nicht.
Zwischen Magdeburg und Chemnitz plazierte die angloamerikanische Generalität ihren größten Coup: die Vernichtung Dresdens. Ist es ohnehin schon bemerkenswert, daß der Luftkrieg gegen Deutschland um so heftiger wurde, je näher die Kapitulation rückte, erscheint die sinnlose Zerstörung Dresdens als besonders grauenhaft. Da keine Luftabwehr vorhanden war, hatten es die britischen Flieger am 13. Februar 1945 leicht. Die erste Angriffswelle dauerte nur eine Viertelstunde, aber 75 Prozent der Altstadt brannten bereits. Bergungs- und Löscharbeiten dauerten an, als kanadische und britische Bomberpiloten 650.000 Stabbrandbomben abwarfen. Zahlreiche Einzelfeuer verbanden sich zu einem beispiellosen Feuersturm. Das war noch nicht das Ende: In den Mittagsstunden des 15. Februars griffen US-Bomber an, trotz der unzähligen Schwerverletzten und Ermordeten in den Trümmern.
Dies alles wurde in der DDR im Volksbewußtsein gehalten: Im Gegensatz zu den Verbrechen der Roten Armee fand bezüglich westalliierter Gräueltaten keine Relativierung statt. Das lag zum einen an propagandistischen Erwägungen (der Schuldige saß passenderweise im Westen), zum anderen an der Heftigkeit der militärisch vollkommen überflüssigen Bombardements, die dem Gros der Bewohner der „Zone“ – unabhängig vom politischen Standpunkt – als verbrecherisch erschien und auf diese Weise im Alltagsverstand Verankerung fand. In der „alten BRD“ spielte dies keine Rolle. Dort kennt man die US-Amerikaner und Briten von einst heute stärker als Lieferanten von Kinderkaugummis und Väter des Marshallplans und weniger als Bomberpiloten. Im Osten hingegen hat das Trauma des Luftkrieges das kollektive Gedächtnis beeinflußt. Es mag manche Beobachter irritieren: Aber die heutige Kriegsskepsis vieler Deutscher auf dem Gebiet der ehemaligen DDR angesichts von NATO-Osterweiterung und Ukraine-Aufrüstung findet ihren Urgrund häufig im Dresdner Fanal. Geschichte wirkt in Mentalitäten fort.
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.