Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Das Richtfest – lebendiger Brauch, lange Tradition

von Reinhild Bauer

Brauchtum (19)

Das seit dem 14. Jahrhundert belegte Richtfest wird bis heute rege begangen – traditionell, wenn der Rohbau eines Hauses fertig ist und der Dachstuhl aufgerichtet wurde. Das Richtfest ist im gesamten deutschen Sprachgebiet verbreitet, weswegen es unzählige Bezeichnungen dafür gibt: Bauheben, Weihefest, Hebefest, Hebfeier, Hebauf, Hebweih, Hebmahl, Firstbier, Aufschlagfest oder Hiebschmaus; in Österreich Gleichenfeier, Firstfeier oder Dachgleiche; in der Schweiz Aufrichte; niederdeutsch Fensterbeer. Alle diese Begriffe tragen wichtige Bestandteile dieses Brauches in ihrem Namen. Großteils beziehen sie sich auf das Aufrichten oder Heben des Dachstuhles oder Gleichen des Firstbalkens, welches den Zeitpunkt des Festes bestimmt.

Aufschlag und Hieb bezeichnet die Sitte, daß der Bauherr den letzten Nagel einschlagen muß. Auch der Jux kommt hierbei nicht zu kurz und das Verstecken des Nagels oder das Erschweren durch einen besonders unpraktischen Hammer sind beliebte Methoden, um das Prozedere in die Länge zu ziehen. Früher mußte für jeden vom Bauherrn benötigten Hammerschlag zusätzliches Bier oder Schnaps bereitgestellt werden. Das Herzstück des Richtfestes ist das Anbringen eines Richtkranzes oder -baumes am Firstbalken. Dieser wurde früher von den Frauen des Dorfes gebunden, heute wird er meist käuflich erworben. Geschmückt wird das Gebilde mit bunten Bändern und soll Zier des Hauses und Ehre des Bauherrn sein. Früher galt das Richtfest auch als Zahltag. An diesem Tag beglich der Bauherr sämtliche Schulden, die in Bezug auf den Hausbau bislang angefallen waren. Das Fest mit reichlich Alkohol und Essen galt als Ersatz für das Trinkgeld oder als Teil des Lohnes.

Das Richtfest stellte in der gläubigen Welt des Mittelalters auch den Schutz vor Unheil für Haus und Bewohner dar. In manchen Regionen beinhaltete es einen gemeinsamen Kirchgang aller am Fest Beteiligten, wo für das Heil des Hauses und seiner Bewohner gebetet wurde. Andernorts gehen nur die Zimmerleute an diesem Tag für ein Gebet in die Kirche. Eine weitere Sitte, die zum Schutz des Hauses führen soll, ist das Zerschmettern einer Sektflasche oder eines Bierkruges am Firstbalken. Es wird traditionell von jenem Zimmermann vorgenommen, der auch  den Richtspruch ausführt – eine Mischung aus Danksagung an alle Helfer und Bitte um Segen für Haus und Bewohner durch den Herrgott.

Über die Autorin:

28 Jahre alt, Ehefrau, Mutter und Mitorganisatorin zweier großer Kulturveranstaltungen für die deutsche Jugend; aufgewachsen im Österreichischen Turnerbund und der Bündischen Jugend, Studium zur Volksschullehrerin, anschließend drei Jahre in der österreichischen Politik.

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