von Benedikt Kaiser
Kaisers Zone (14)
Er hat es wieder getan. Tino Chrupalla besuchte am 9. Mai eine russische Gedenkfeier. Diesmal in der Russischen Botschaft in Berlin. Der Bundes- und Fraktionsvorsitzende der AfD nahm am Empfang zum 8./9. Mai 1945 teil. Dies wurde mehrfach skandalisiert. Seitens der Mainstreammedien beanstandete man, daß dies als Parteinahme für Moskau im Angriffskrieg gegen Kiew zu deuten sei. Außerdem sei das weitere Teilnehmerfeld – Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Egon Krenz (ehem. Staatsratsvorsitzender der DDR), Klaus Ernst (Die Linke) – notorisch kremlloyal. Aber auch seitens konservativer und rechter Medien wurde scharfe Kritik formuliert. Dort beanstandete man die Situation, daß sich der Chef einer patriotischen Kraft am Tag der Niederlage des ganzen Deutschlands (und eben nicht nur der NS-Apparatschiks) der ehemaligen Feindmacht andiene. In AfD-internen Bundestagsgruppen wurde der Kopf von Chrupalla gefordert.
Doch Chrupalla, unter dessen Leitung die Partei in Umfragen bundesweit auf ein Allzeithoch von 16,5 % geklettert ist, überstand die Hatz. Er entschied sich für den Angriff. Statt der Mainstreampresse Stellungnahmen zu geben, wählte er mit der Zeitschrift Sezession ein Leitmedium der außerparlamentarischen Rechten. Götz Kubitschek und Erik Lehnert führten einen Austausch mit Chrupalla. Was er dem russischen Vertreter geschenkt habe? „Eine Tasse mit dem preußischen Adler.“ Weshalb? „Unter Bismarck und vor Bismarck waren gute Beziehungen zu Rußland die Grundlage für politische Stabilität.“ Und was ist mit den sowjetischen Verbrechen? Die leugnet Chrupalla nicht. Aber: „Die russischen Truppen haben Deutschland 1994 verlassen. Die Amerikaner sind geblieben.“ Meine Kolumne im Mai-Eckart schloß ich mit dem Satz: „Geschichte wirkt in Mentalitäten fort.“ Dies wird von Chrupalla unterstrichen, indem er seine Sozialisation anruft: „Mein Eindruck als Ostdeutscher und ehemaliger DDR-Bürger ist: Die russische Erzählung vom Großen Vaterländischen Krieg sollte vor allem den eigenen Patriotismus festigen […]. Es ging nicht so sehr darum, den Patriotismus der Deutschen aufzulösen oder uns eine untilgbare Schuld aufzubürden.“
Chrupalla hat objektiv recht. Subjektiv muß er sich die Frage gefallen lassen, ob es für deutsch-russische Annäherungen nicht bessere Zeitpunkte gäbe als einen 9. Mai.
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.