„Bleib am Leben, sie zu ärgern!“

Vor 125 Jahren wurde Erich Kästner geboren.

von Erik Lommatzsch

Als „Gebrauchslyrik“ verstand Erich Kästner seine Verse, leicht verständlich, geschaffen eher für die unmittelbare Gegenwart. Nicht immer handelt es sich um die Gipfel der deutschen Dichtkunst, jedoch wirkt vieles ungebrochen aktuell. Etwa, wenn Kästner im Band Gesang zwischen den Stühlen, erschienen 1930 in der Zeit der krisengeplagten Weimarer Republik, eindringlich mahnt: „Was auch immer geschieht: / Nie dürft ihr so tief sinken, / von dem Kakao, durch den man euch zieht / auch noch zu trinken!“ Resigniert, aber ebenso treffend schließt das Gedicht „Warnung vor Selbstschüssen“ aus der im Jahr zuvor veröffentlichten Sammlung Lärm im Spiegel: „Ja, die Bösen und Beschränkten / sind die Meisten und die Stärkern. / Aber spiel nicht den Gekränkten. / Bleib am Leben, sie zu ärgern!“

Geboren wurde Kästner am 23. Februar 1899 in Dresden. Charakteristisch sollte die enge, lebenslange Verbindung zur Mutter werden, eine Verbindung, die auch ein wiederkehrendes Motiv seines Werkes wurde. Kästner strebte zunächst den Beruf des Volksschullehrers an. Im vorletzten Jahr des Ersten Weltkrieges eingezogen wurden seine damit verbundenen Erfahrungen prägend. Forthin war ihm das Militärische zuwider. Dafür stehen Gedichte wie „Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?“ aus seinem ersten Band Herz auf Taille von 1928. Hier karikiert er mit dem ihm eigenen satirisch-bitteren Talent ein Werk Goethes. Oder ein Gedicht aus Lärm im Spiegel, in dem er sich angewidert von einem Pastor zeigt, der während des Krieges „in der Heimat klebte“ und von dort aus geäußert haben soll: „Wenn unser Herr Jesus heute lebte / bediente er ein Maschinengewehr!“

„Kein Schöngeist, sondern ein Schulmeister“

Kästner wurde 1925 mit einer germanistischen Arbeit promoviert und arbeitete als Redakteur in Leipzig. Die Entlassung aufgrund eines freizügigen Gedichtes bezeichnete er später als „Fußtritt Fortunas“. 1927 kam er nach Berlin, unter anderem wirkte er als Theaterkritiker. Seine große schöpferische Zeit als Schriftsteller fällt in diese Jahre, er wird zu den Autoren der „Neuen Sachlichkeit“ gezählt. 1931 publizierte er den Roman Fabian, in dem der – autobiographisch geprägte – Held die Mißhelligkeiten der Gegenwart bis hin zu seinem tragischen Ende erfährt. Ein Rezensent bezeichnete Fabian als ein „unmoralisches Buch von höchster Moral“. Sehr erfolgreich waren Kinderbücher wie Emil und die Detektive oder Pünktchen und Anton, wo es einleitend heißt: „Ob wirklich passiert oder nicht, das ist egal. Hauptsache, daß die Geschichte wahr ist! Wahr ist eine Geschichte dann, wenn sie genauso, wie sie berichtet wird, wirklich hätte passieren können.“ Kästner, der unter den Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen litt und mitunter arg pessimistische Zeilen verfaßte, glaubte an die Möglichkeit der Verbesserung. Er selbst verstand sich als „ein Urenkel der deutschen Aufklärung“, er sei „kein Schöngeist, sondern ein Schulmeister“.

„Der Maßstab ist nicht die Uhr, sondern der Wert.“

1933 gehörten seine Bücher zu den demonstrativ verbrannten. Publikationsverbot erhielt er, konnte aber im Ausland veröffentlichen, sowie unter Pseudonym. Drehbücher verfaßte er, etwa zu dem aufwändigen UFA-Film Münchhausen, der ab 1943 in den Kinos zu sehen war. Sein Verbleiben in Deutschland trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem NS-Regime und der erlittenen Repressalien ist ihm – unsinnigerweise – immer wieder vorgeworfen worden.

Nach dem Krieg lebte Kästner in München, zunächst als Feuilletonchef der von den Amerikanern gegründeten Neuen Zeitung. Er schrieb für die Kabaretts „Schaubude“ und „Die kleine Freiheit“, war Präsident des PEN-Zentrums und engagierte sich gegen die Wiederaufrüstung, „Atomtod“ und Notstandsgesetze. Die jungen Leser hatte er weiter im Blick: Das doppelte Lottchen kam 1949 heraus, ebenso Die Konferenz der Tiere. Hier zwingen Figuren wie Oskar der Elefant und der Löwe Alois der sich bekriegenden Menschheit einfallsreich einen dauerhaften Frieden auf – ein hübsches, versöhnliches Ende, typisch für den optimistischen Teil von Kästners Werk.

Seine auch vielfach verfilmten Bücher erfreuten sich weiterhin großer Beliebtheit. An die Präsenz der Jahre vor 1933 konnte Kästner allerdings nicht wieder anknüpfen. Am 29. Juli 1974 ist er gestorben. In seinen 1957 erschienenen Erinnerungen Als ich ein kleiner Junge war konstatierte Kästner, daß es neben der meßbaren Zeit noch eine andere gebe: „Unsere Erinnerung aber, die andere Zeitrechnung, hat mit Meter und Monat, mit Jahrzehnt und Hektar nichts zu schaffen. Alt ist, was man vergessen hat. Und das Unvergeßliche war gestern. Der Maßstab ist nicht die Uhr, sondern der Wert.“

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