Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Blauer Osten, schwarzer Westen, rotes Berlin

von Benedikt Kaiser

Deutschland hat gewählt, und färbt man die Landkarte anhand der Parteifarben ein, erhält man exakt die alte deutsche Teilung farblich visualisiert. Das kennt man zwar schon, „aber so deutlich war es noch nie“ (so die taz v. 24.2.2025). Der Westen, das ist Christdemokratie, tiefschwarz. Berlin, die Bundeshauptstadt, ist dunkelrot (mit kleineren blauen und größeren schwarzen Einsprengseln), der Osten, das ist blau, dunkelblau, Aufbruch und Widerstand. In dieser Kolumne geht es bekanntermaßen ausdrücklich um die alte „Zone“, nicht um die ganze Bundesrepublik Deutschland, weswegen hier zehn Stichpunkte explizit über die Wahl im Osten zu notieren sind;  wer etwas über die gesamte Wahl lesen möchte, gehe anschließend zu sezession.de und lese dort Daniel Fiß’ Auswertung.

1. Die nackten Zahlen sprechen zunächst für sich: In den fünf Ost-Flächenländern gewinnt die AfD deutlich. Insgesamt kommt man im Osten auf 34,5 % Stimmen für die AfD (im Westen: 17,9 %). Thüringens AfD unter Björn Höcke führt das Feld in gewohnter Manier an: 38,6 % der Wähler im Freistaat haben ihre Listenstimmen der AfD gegeben. Es folgen die Parteikollegen aus Sachsen (37,3 %), Sachsen-Anhalt (37,1 %), Mecklenburg-Vorpommern (35 %) und Brandenburg (32,5 %).

2. Wer sich fragt, wieso Brandenburg vergleichsweise schlechter abschneidet: Der zum Bundesland zugehörige Berliner Speckgürtel mit seinen oft aus der Hauptstadt zugewanderten linksbürgerlichen Milieus verzerrt die Statistik. Würde man ihn exkludieren, hätte Brandenburg ebenfalls ein Ergebnis im 37-%-Bereich.

3. Berlin-Ost, die alte Zonen-Hauptstadt, schert hier vollständig aus. Ob Pankow, Lichtenberg, Friedrichshain, Mitte oder Treptow-Köpenick: Hier sahnt die Linkspartei ab, nur Marzahn-Hellersdorf, der tiefste Osten Berlins, wählte blau: Dort gewann die AfD sogar erstmals das Direktmandat mit 29,5 %. In diesem Bezirk liegt auch das stärkste AfD-Ergebnis überhaupt: Rund um den Teupitzer Park fuhr man mit 46,8 % einen Spitzenwert ein. Zum Vergleich: Den niedrigsten Wert der Hauptstadt-AfD verbucht man nördlich vom Neuköllner Hermannplatz: 2,2 %)

4. Die Linkspartei gewann Ost-Berlin, indem sie eine Mischung aus Jugendkult (Social Media Hype, „Town Hall Meetings“, 24/7-Online-Wahlkampf etc.) und klassischem, aber höchst intensivem Haustürwahlkampf führte. Preise müssen runter, Mieten müssen gedeckelt werden, Nazis müssen raus – der zugespitzte Dreiklang wirkte offenbar für die Hauptstadtmilieus im Osten eingängig und mobilisierend. Hinzu kam, daß nicht nur grüne Jugendfunktionäre zur Linken überliefen, sondern auch grüne Jungwähler, denn „als kompromißlos migrationsfreundlich wurde sie für irritierte junge Grün-Sympathisanten interessant“, so Daniel Deckers treffend in der FAZ (24.2.2025). Doch die linke Erfolgsserie endet an den Grenzen Berlins bzw. an den Grenzen des Speckgürtels.

5. Insgesamt 45 (!) Wahlkreise in den fünf Bundesländern des Ostens gewann nämlich die AfD – nur in Leipzig II (dem blutroten Süden der Messestadt) und Erfurt/Weimarer Land II gewann die Linke; der abgewählte Kanzler Olaf Scholz holte knapp das Direktmandat in Potsdam für seine SPD. Das war’s, der Rest des ehemaligen DDR-Gebietes wählte teils mit 15 oder 20 Prozentpunkten Vorsprung die AfD-Kandidaten.

6. Es war nicht überraschend, daß das Erzgebirge, die Lausitz, Rest-Niederschlesien und auch Vorpommern mit 45 bis 50 % AfD wählen. Überraschend ist vielmehr, daß es der AfD im Osten endlich auch gelang, in den größeren Städten stärkste Kraft zu werden. In Cottbus 34 % der Zweitstimmen, in Chemnitz 32,7 %, in Magdeburg 28 % und selbst in Dresden mit seinen großen „schwarzen“ und „rotgrünen“ Milieus fast 27 % – die Ost-AfD „kann“ auch Großstädte, und das ist tendenziell neu.

7. Die Themen des Wahlkampfes im Osten waren die Themen der AfD im Osten: Nach Zahlen von Infratest Dimap für die Tagesschau waren die Bereiche Migration, Frieden sowie innere und soziale Sicherheit die wichtigsten Themenkomplexe für die Wahlentscheidung aller Ostwähler. Eine Partei, die sich insbesondere in Thüringen dem mobilisierenden Konzept eines Solidarischen Patriotismus’ verschrieben hat, der just diese Themen als Kernbausteine betrachtet, kann angesichts dieser Interessenskongruenz mit der Wählerschaft besser reüssieren. Im Westen hingegen wurde beispielsweise Klimapolitik höher gewichtet; da tut sich die AfD naturgemäß schwerer.

8. Die AfD ist im Osten gemäß Infratest Dimap stärkste Kraft als Interessensvertretung der Ostdeutschen. Sie führt das Feld deutlich an – die Linkspartei holt allerdings auf – und steht mit 19 % nur noch fünf Prozentpunkte hinter der AfD. Hier wird es fortan seitens der Ost-AfD-Verbände darum gehen müssen, wieder stärker inhaltlich und strategisch die besondere Situation zwischen Vogtland und Ostsee zu bearbeiten. Lohnkluft, Rentenpolitik, Niedriglohnsektor oder auch die Rolle des Ostens als prekäre verlängerte Werkbank der Westkonzerne – die Themen drängen sich von selbst auf.

9. Die Partei der von Mario Möller in der Zeitschrift Bahamas so getauften „ideellen Gesamtostdeutschen“ Sahra Wagenknecht, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird hingegen nur von 8 % der Wähler als Stimme des Ostens anerkannt. Deswegen kann die linke Wochenzeitung Der Freitag (24.2.2025) konkludieren: „Das BSW hat die Bundestagswahl verloren, wo die AfD gewonnen hat: in Ostdeutschland.“ Dort holte das mal als „linkskonservativ“, gelegentlich als „sozialkonservativ“ und oft als „linkspopulistisch“ bezeichnete Bündnis zwar 9,9 % – aber das konnte die schwachen 3,9 % im Westen nicht ausgleichen. Vor allem in Thüringen verlor das BSW kraß an Stimmen, was gewiß kein Zufall ist: Man trat dort Ende 2024 gegen den zu zögerlichen Widerstand Wagenknechts in eine Koalition mit CDU und SPD ein, verband sich also ausgerechnet mit jenen Altparteien, die bei BSW-Wählern neben den Grünen am wenigsten gelitten sind. Die Quittung: Entzug der Sympathie, mehr als 50.000 Stimmen allein in Thüringen im Vergleich zur Landtagswahl im September 2024 verloren, und daraus folgt: 13.000 Stimmen zu wenig für den Bundestag, 4,99 % insgesamt. Das BSW will sich laut Cicero (März 2025) zwar umbenennen, womöglich in Bündnis Sicherheit und Wohlstand. Aber ob das nach dem Desaster noch nötig sein werde oder ob die junge Start-up-Partei (1.000 Mitglieder) nun implodiere, bleibt offen. Für die Ost-AfD gäbe das einen weiteren „Boost“.

10. Soziale patriotische Volkspartei im Osten hin oder her – der Osten hat nur 13 Millionen Einwohner, der Westen bald 72 Millionen. Sprich: Die künftige Koalition wird Schwarz-Rot, also eine Allianz aus den ehemaligen Volksparteien der alten BRD, die man einst „GroKo“ nannte. Bekommt sie die Trendwende hin, „schrumpft“ sie die AfD im Osten? Das ist nicht anzunehmen. Eine zunehmend linkere, jüngere, weiblichere SPD wird Friedrich Merz und seiner CDU/CSU wenig Spielraum für die nötige Kehre auf den Feldern Migration und Wirtschaft einräumen. Merz selbst hat wie immer Angst: In der Süddeutschen Zeitung (24.2.2025) wird er wie folgt zitiert: „Wenn wir das nicht hinbekommen, dann werden 2029 die Populisten in Deutschland triumphieren.“ Merz sagt zurecht: „in Deutschland“, und eben nicht nur: „in Ostdeutschland“. Denn die blaue Welle aus dem Osten sorgt für erste blaue Tropfen auch im Westen. Der Trend schwappt über, langsam, zu langsam vielleicht, aber stetig. So wurden Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz und Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen etwa blau in Sachen Zweitstimmen, und in Bayern, angrenzend an Thüringen und Sachsen, knackt man abseits von München und Nürnberg überall die hochsymbolische 20-%-Marke. Im biederen Leitorgan des westdeutschen Bürgertums, der FAZ (25.2.2025), zeigt sich Berthold Kohler denn auch besorgter denn je. Wenn Schwarz-Rot die drängenden Probleme des Landes nicht zeitnah in Griff bekommen werde, so der FAZ-Herausgeber, „droht die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht nur im Osten Deutschlands zur stärksten Partei zu werden“. Das wäre dann zwar mangels thematischer Zuständigkeit kein Fall für „Kaisers Zone“ mehr – aber ein Hoffnungsschimmer für Deutschland. Und darum geht’s ja.

Benedikt Kaiser

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

Beitrag teilen

Facebook
X
Email
Telegram
Print
WhatsApp