Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

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Beginn der Italianisierung Südtirols vor 100 Jahren

von Mario Kandil

Kalendarium Kandili (19)

Im Denken der italienischen Faschisten spielte er eine ganz wesentliche Rolle: der nach dem Ersten Weltkrieg im Friedensdiktat von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919 Italien zugesprochene südliche Teil Tirols. Die Faschisten planten, die mehrheitlich deutsche Bevölkerung erst zu „entnationalisieren“ und danach zu einem Teil des italienischen Volkes zu machen.

Ettore Tolomei (1865-1952), ein in Rovereto (damals Tirol) geborener italienischer Politiker, Senator, Nationalist und Faschist, stellte für dieses Programm politisch das Fundament bereit, denn er verkündete am 15. Juli 1923 im Stadttheater von Bozen ein 32 Punkte umfassendes Programm zur Italienisierung Südtirols. Dieses Programm war zuvor vom Großen Faschistischen Rat – dem „Unterbau“ von Benito Mussolinis (1883-1945) faschistischer Regierung in Italien – abgesegnet worden. An erster Stelle stand die Vereinigung des „Alto Adige“ (dt. „Oberetsch“ als ital. Bezeichnung für Südtirol) und des Trentino in einer einzigen Provinz mit der Hauptstadt Trient. Von den weiteren Punkten seien an dieser Stelle erwähnt: ein Verbot der deutschen Amtssprache, die Begrenzung des Aufenthalts deutscher Ausländer auf drei Monate, die Förderung der Einwanderung von Italienern nach Südtirol und die Schaffung italienischer Schulen daselbst. Deutsche Tageszeitungen hatten ihr Erscheinen einzustellen. Italienisiert wurden deutsche Ortsnamen,  öffentliche Aufschriften, Straßen- und Wegebezeichnungen sowie Familiennamen.

Schnell begann Tolomei damit, seine Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Mit seinem „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“, dem Nachschlagewerk der Ortsnamen, mit dessen Erstellung er 1916 offiziell betraut worden war, richtete er sein ganz besonderes Augenmerk auf die Umbenennung der deutschen Ortsbezeichnungen. Die neuen, italienisierten Namen waren zum Teil wörtlich übersetzt – so wurde z. B. aus Mühlwald Selva di Molini –, teils waren sie erfunden oder erhielten durch eine neue Endung einen italienischen Klang wie Naturns: Naturno. Auf ähnliche Weise verfuhr Ettore Tolomei  bei Familiennamen.

Dabei ließ es der Fanatiker in Regierungsdiensten allerdings nicht bewenden: Nur wenige Wochen später waren der Name „Südtirol“ und alle Verbindungen mit dem Wort „Tirol“ vollständig verboten. Von nun an sollte die Region ausschließlich „Alto Adige“ heißen.

Über den Autor:

Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.

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