Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

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Nomen est omen: Die Dr.-Edvard-Beneš-Brücke über die Elbe, 1945 zentraler Ort der Massaker an den Deutschen von Aussig

Aussig –die Elbe als Deutschengrab

von Martin Hobek

Daß gegenwärtig Linz der größte Hafen Österreichs ist, liegt an den VOEST, die die Stadt nach dem Krieg zur Industriemetropole schlechthin machten. Daß Triest der größte Handelshafen und Pula der größte Marinehafen Österreich-Ungarns war, ist noch einigermaßen bekannt. Beim größten Binnenhafen der Donaumonarchie, nämlich Aussig an der Elbe, ist die Ursache noch logischer als heute bei Linz: Böhmen war das mit Abstand industrialisierteste Kronland der Habsburger, und die Elbe war ab Aussig schiffbar. So sammelten sich hier viele Güter aus den Fabriken sowie Rohstoffe aus den umliegenden sechzig Bergwerken, die per Schiff nach Dresden, Hamburg oder in die weite Welt verbracht wurden.

Erstes Massaker an den Deutschen Aussigs schon im 15. Jahrhundert

Aussigs erste urkundliche Erwähnung datiert aus 993, ab der ersten Hälfte des 13. Jh. war es Königsstadt mit Magdeburger Recht. Nachdem die Hussiten 1426 Aussig eingenommen hatten, ermordeten sie die deutsche Bevölkerung und zerstörten die Stadt. Nachdem sich Aussig mühsam erholt hatte, wurde es im Dreißigjährigen Krieg siebenmal geplündert und versank in völliger Bedeutungslosigkeit. Der große Umschwung erfolgte mit der einsetzenden Industrialisierung. 1840-60 vervierfachte sich die Bevölkerung, und bis 1880 verdoppelte sie sich trotz mehrerer Seuchen noch einmal. Aussig wurde Bezirkshauptstadt, allein in der größten Chemikalienfabrik arbeiteten 2.600 Menschen. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Aussig an der Elbe, nunmehr Ústi nad Labem, zur Tschechoslowakei. Bei der Parlamentswahl 1935 erreichten die Nationalsozialisten hier die absolute Mehrheit der Stimmen. 1938 hatte die Stadt 60.000 deutsche und 3.000 tschechische Einwohner. Sie wurde gemäß Münchner Abkommen dem Reichsgau Sudetenland zugeschlagen.
1945 kam es zu zwei Katastrophen in Aussig, die in den letzten Jahren zur Spielwiese eines modern gewordenen schäbigen Revisionismus’ wurden, wie man ihn bislang nur von Holocaustleugnern kannte. Bei US-Luftangriffen im April 1945 wurden ein Fünftel der Altstadt und der Vorort Oster dem Erdboden gleichgemacht. Die 1.000–2.500 Todesopfer frisiert man heute gerne auf ca. 500 herunter, bewußt negierend, daß viele Leichen verbrannt oder für immer verschüttet worden waren. Ausgeklammert wird auch gerne, daß sich ähnlich wie in Dresden unzählige, nicht registrierte schlesische Flüchtlinge in der Stadt befanden – sowie nach Bombardements obdachlos gewordene Westdeutsche, die sich in der böhmischen Peripherie fatalerweise sicher glaubten.

31. Juli 1945 – als sich die Elbe von Aussig bis Dresden blutrot färbte

Im Hochsommer 1945 kam es schließlich zum größten Verbrechen seit dem Hussitensturm: Beamte aus dem tschechischen Innenministerium ließen ein Munitionsdepot im Stadtteil Schönpriesen hochgehen, um im Ausland den Genozid an den Deutschen in Böhmen rechtfertigen zu können. Unmittelbar nach der Explosion wurden einige einheimische Zivilisten beschuldigt, und die gesamte Bevölkerung, die weiße Armbinden und ein „N“ für Nĕmec (Deutscher) tragen mußte, wurde für vogelfrei erklärt. Mehrere Aussiger wurden erschlagen oder mit Bajonetten erstochen. Etliche wurden auf die Elbbrücke getrieben und dort in den Fluß geschossen. Manche wurden ins Wasser geworfen und dann beschossen. Sudetendeutsche Institutionen gingen aufgrund von konkreten Aussagen Überlebender von ca. 2.000 Mordopfern aus. Die heutigen deutschen Historiker halten die Zahl mit 220 extrem gering und werden nur von ihren tschechischen Kollegen mit „43–100“ unterboten. Diese „Berechnungen“ sind allerdings vollkommen abwegig, wenn man bedenkt, daß sich die Elbe bis Dresden rot färbte und allein achtzig Leichen in verschiedenen Ufergemeinden stromabwärts angeschwemmt wurden.
Aussig hat heute über 90.000 Einwohner, der Anteil der Deutschen liegt im Nullkommabereich. Im Straßenverkehr erkennt man Neu-Aussiger leicht: Tschechische Nummerntafel beginnen mit einer Ziffer und einem Buchstaben, U steht für Ústi. Einsicht sowie der Wille zur Aufarbeitung und Versöhnung sind in Tschechien noch zarte Pflänzchen. Am 60. Jahrestag enthüllte der Oberbürgermeister auf der Brücke eine Gedenktafel in beiden Sprachen „für die Opfer der Gewalt“. Würde ein lokalhistorisch völlig unbeleckter überseeischer Tourist die knappe Textzeile mittels Smartphone übersetzen, könnte er auch annehmen, hier sei einmal jemand geohrfeigt worden. Fast substanzieller ist das seit 2011 bestehende Museum zur Geschichte und Kultur der Deutschen in Böhmen. Das vielleicht poetischste Detail: Richard Wagner soll durch die über der Elbe thronende Burgruine Schreckenstein zum Tannhäuser inspiriert worden sein.

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