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Auf die Barrikaden!

von Alain Felkel

Die Märzrevolution 1848 (Teil 1)

Das Jahr 1848 begann mit einem Paukenschlag – der Februarrevolution, die in Frankreich den 1830 an die Macht gekommenen Louis-Philippe vom Thron fegte. Den letzten Anlaß für seinen Sturz hatte der „Bürgerkönig“ selbst geliefert: dadurch, daß er eine Reform des Zensuswahlrechts verhindert hatte, das nur Bürger mit einem gewissen Vermögen und Steueraufkommen zur Wahl berechtigte und die Mehrheit der Bevölkerung von jeder politischen Einflußnahme ausschloß. Dies ließen sich die unzufriedenen politischen Kräfte Frankreichs nicht länger gefallen.

Die ursprünglich friedlichen Unmutskundgebungen in Paris entwickelten sich durch den Einsatz von Soldaten zu einer blutigen Straßenschlacht, die drei Tage lang dauerte. Die Verbrüderung von Bürgern und Arbeitern endete mit der völligen Niederlage des Militärs, führte zum Sturz des verhaßten Premierministers Guizot und zur Abdankung des Bürgerkönigs. Der Liberale Alphonse de Lamartine bildete eine Regierung, deren erste Maßnahmen die Einführung der Pressefreiheit, des allgemeinen Wahlrechts, die Abschaffung der Todesstrafe für politische Gefangene und die Anerkennung des Rechts auf Arbeit waren. Wieder einmal hatte eine Revolution in den Straßen von Paris einen großen Sieg errungen – und erneut übertrug sich der Funke des Aufstands von Frankreich auf Deutschland.

Die „Mannheimer Forderungen“ als Blaupause für ganz Deutschland

Die politische Situation in den deutschen Staaten stellte 1848 eine ausgesprochen günstige Ausgangslage für einen revolutionären Umsturz dar. Mehrere Mißernten hintereinander sowie die Erhöhung von Steuern und Preisen für Grundnahrungsmittel hatten – gepaart mit einer rigiden Zensur- und Überwachungspolitik – ab 1840 zu sozialer Unruhe und politischem Protest geführt. Das erste Fürstentum, das in Deutschland von der Revolution erfaßt wurde, war das Großherzogtum Baden. Hier kam es unter der Führung prominenter Vertreter der badischen Opposition wie Gustav Struve und Friedrich Hecker in unmittelbarer Folge der Pariser Ereignisse am 27. Februar 1848 in Mannheim zu einer Großkundgebung, auf der die oppositionellen Kräfte das Kernprogramm der Revolution entwickelten. Hauptforderungen waren die Einführung von öffentlichen Schwurgerichten, die Volksbewaffnung sowie die Pressefreiheit und ein einziges deutsches Parlament.

Die Mannheimer Forderungen verbreiteten sich wie ein Flächenbrand von den Kleinstaaten Südwestdeutschlands nach Norden und Osten bis in die mächtigsten Staaten des Deutschen Bundes: die Königreiche Preußen, Sachsen, Hannover und Bayern, wo das Mannheimer Programm bald erweitert oder den jeweiligen politischen und rechtlichen Verhältnissen angepaßt wurde. In Frankfurt erklärte der Bundestag angesichts der Masse von 2.000 Protestierenden die Bundesbeschlüsse von 1819, 1832 und 1834 für aufgehoben – mit deren Hilfe hatten der österreichische Staatskanzler Fürst Klemens von Metternich und die deutschen Fürsten jahrzehntelang jegliche politische Opposition und freie Presse unterdrückt. Zugleich verkündete der Bundestag eine Generalamnestie für alle, die nach 1830 politischer Unterdrückung zum Opfer gefallen waren.

„Märzministerien“, Reichsadler und Schwarz-Rot-Gold

Variierten die jeweiligen Reformprogramme der aufständischen politischen Vereine von Land zu Land, so waren die Mittel der Opposition überall gleich: das Einreichen von Petitionen, öffentliche Appelle in der Presse und das Abhalten von Kundgebungen, Versammlungen und Demonstrationen. Verglichen mit den erbittert ausgetragenen Februarkämpfen in Frankreich verlief die Revolution in den Mittel- und Kleinstaaten des Deutschen Bundes überwiegend unblutig. Das Schreckgespenst des bewaffneten Aufstands ließ die Souveräne schnell einknicken und „Märzministerien“ bilden, die einen Großteil der wichtigsten oppositionellen Forderungen übernahmen. Aufgrund des Drucks der Straße hob der Bundestag die Zensur von Druckschriften auf. Darüber hinaus erklärte er den Reichsadler zum Bundeswappen und die revolutionäre Trikolore „Schwarz-Rot-Gold“ zur deutschen Bundesfahne.

Das Ende des österreichischen Staatskanzlers Metternich

Einzig im multiethnischen Kaisertum Österreich und im Königreich Preußen kam es im März 1848 zu schweren Barrikadenkämpfen. Den Anfang machte Wien, wo Metternich seit Jahrzehnten an der Macht war. Obwohl der scheinbar übermächtige Vater des Überwachungsstaates über ein ausgeprägtes Spionagesystem verfügte, nahm er die seismischen Schwingungen des nahenden Politerdbebens nicht wahr, die sein Herrschaftssystem zum Einsturz bringen sollten. Denn die Nachricht von der Februarrevolution und dem Sturz Louis-Philippes verbreitete sich in Wien wie ein Lauffeuer und beflügelte die revolutionäre Bewegung, deren Träger die Studenten waren. Am 12. März 1848 versammelten sie sich in der Aula der Universität Wien, um eine Petition an den Kaiser zu verabschieden. Ihr Forderungskatalog: Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren, Geschworenengerichte, Selbstverwaltung der Gemeinden, Teilnahme des Volks an der Regierung, Bauernbefreiung, Festlegung der bürgerlichen Grundrechte, Beseitigung der Zensur, Presse-, Lehr- und Lernfreiheit, Ausweisung der Jesuiten und Gleichstellung der Konfessionen.

Metternich zeigte sich jedoch unnachgiebig – mit fatalen Konsequenzen. Nur einen Tag später stürmten die Wiener Studenten das Ständehaus, womit die Revolution in Wien begann. Als ein Demonstrationszug auf den niederösterreichischen Landtag in der Herrengasse zumarschierte, schoß das Militär in die Menschenmenge, was eine Massenpanik auslöste. Aber die Revolutionäre waren nicht gewillt, sich wie Hasen totschießen zu lassen. Arbeiter, Bürgerliche und Studenten bewaffneten sich und errichteten überall in der Stadt Barrikaden. Gleichzeitig setzten die Arbeiter zum Maschinensturm an und legten in den Vorstädten Feuer in den Fabriken.

Nun entbrannte ein wilder Straßenkampf, bei dem am 13. und 14. März insgesamt 35 Menschen ihr Leben verloren und die Aufständischen ihre Stellungen weitgehend behaupteten. Einen Tag später trat Metternich zurück. Das Wunder war vollbracht. Der Kerkermeister Europas wurde nun selbst zum politischen Verfolgten und flüchtete wie ein gemeiner Verbrecher aus Österreich, um in Großbritannien Unterschlupf zu suchen. Ihm folgte als Kanzler Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky, der wesentlich liberaler war. Auch programmatisch erzielten die Wiener Revolutionäre einen großen Erfolg. Kaiser Ferdinand I. versprach die Abschaffung der Zensur und eine Staatsverfassung. Als die Wiener Bevölkerung nur vier Tage nach dem Sturm auf das Ständehaus ihre Märzgefallenen begrub, erfreuten sich die Revolutionäre der Illusion, einen großen Sieg errungen zu haben, zumal der Funke der Revolution endlich auch Preußen entflammte.

Ein „entsetzliches Mißverständnis“ in Preußen

Hatten die Ereignisse in Paris bereits für erste Unruhe in Berlin gesorgt, so gab der Sturz Metternichs den preußischen Reformkräften letztendlich den nötigen Anstoß, gegenüber der Ordnungsmacht forscher aufzutreten. Wie überall in Deutschland forderten auch die preußischen Liberalen und Demokraten ihren Monarchen dazu auf, endlich das bereits von König Friedrich III. von Preußen gegebene Verfassungsversprechen wahrzumachen, die Zensur aufzuheben, Pressefreiheit und ein Wahlrecht für alle zu gewähren. Desgleichen richteten die Arbeiter vergeblich eine Adresse an den König, mit der Bitte, sie vor den Wucherern und Fabrikanten zu schützen und ihre soziale Not zu lindern. Immer wieder stießen Arbeiter und Handwerksgesellen mit dem Militär zusammen.
Um ihren allbekannten Forderungen noch mehr Nachdruck zu verleihen, versammelten sich am 18. März 1848 Tausende vor dem Berliner Schloß. Nun endlich versprach der König die Aufhebung der Pressezensur und die Einberufung eines Landtags. Als immer mehr Berliner auf den Schloßplatz strömten, gab der König seinen Truppen den Befehl, den Platz zu räumen. Hierbei kam es zu dem Vorfall, der später vom König als „entsetzliches Mißverständnis“ dargestellt wurde. Beim Gerangel mit den Demonstranten lösten sich zwei Schüsse aus den Reihen der vorrückenden preußischen Gardisten, die eine Massenpanik auslösten. Nun nahm das Unheil seinen Lauf.

Der Kampf um Berlin

Unter dem Schreckensschrei „Verrat! Verrat! Man schießt auf das Volk!“ lief die Menschenmenge auseinander, um sich nur kurz danach kampfentschlossen zu rüsten. Überall läuteten die Sturmglocken und wuchsen Barrikaden aus dem Straßenpflaster in die Höhe. Der Stadtkommandant, Generalleutnant Karl von Prittwitz, war nicht bereit, eine derartige Aufsässigkeit zu dulden und ging mit aller Härte gegen die Aufständischen vor. Der Kampf war ungleich, der Blutzoll der Barrikadenkämpfer hoch. Nur wenige von ihnen hatten anfangs Handfeuerwaffen, geschweige denn Kanonen. Wer mit einem Gewehr ausgerüstet war, lud es in Ermangelung von Kugeln mit Murmeln oder Geldstükken. Andere schmolzen inmitten der feindlichen Gewehrsalven hinter den Barrikaden an offenen Feuern Fensterblei zu Kugeln.

Einer der ersten Märtyrer der Revolution wurde der Lehrling Ernst Zinna. Nur mit einem rostigen Säbel bewaffnet, aber mit Löwenmut beseelt, stellte er sich den preußischen Garden entgegen. Er wurde totgeschossen, nachdem er einen Offizier mit seinem Säbel niedergestreckt hatte. Nicht besser erging es den Verteidigern der Köllner Barrikade, die bis zur letzten Kugel fochten und sich dann ergaben. Allein 70 von ihnen wurden von den Siegern massakriert. Grausamkeiten wie diese ließen indes die Revolutionäre nicht verzagen. Obwohl die preußischen Truppen die Straßenzüge um das Berliner Schloß freikämpften, liefen sich ihre Angriffe an der großen Barrikade am Alexanderplatz fest. Mittlerweile hatten die Aufständischen das Zeughaus der Landwehr gestürmt, einen Munitionstransport der Regierungstruppen gekapert und genug Pulver sowie zwei Kanonen aufgetrieben. Endlich wendete sich das Blatt. Die anstürmenden Gardisten empfingen gezieltes Gewehrfeuer und von Dächern herunterprasselnde Ziegellawinen. Erstmals erlitten sie schwere Verluste. General von Prittwitz brach den Angriff ab und bat den König darum, die Barrikaden mit Artillerie bombardieren zu dürfen.

Der Leichenzug der Märzgefallenen

Aber dem König war dies zuwider. Friedrich Wilhelm IV. wollte kein weiteres Blutvergießen. Er ordnete den Rückzug der Truppen aus der Stadt an, was die Kampfhandlungen beendete. Die Bilanz war erschreckend: 231 Aufständische hatten ihr Leben gelassen, 56 Soldaten und sieben Offiziere waren gefallen. Machtvoll zwangen die preußischen Revolutionäre den König am 22. März dazu, den Totenfeiern für die Märzgefallenen beizuwohnen, ihre Reformforderungen zu erfüllen, seine erzkonservativen Minister zu entlassen und ein Märzministerium unter Leitung des Liberalen Ludolf Camphausen einzusetzen. Des Weiteren übernahm die Bürgerwehr die Wahrung der öffentlichen Ordnung und gewährte der König Amnestie für alle politischen Vergehen. Am 21. März verkündete er der deutschen Nation, daß er sich zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesamtvaterlandes stelle, was von den Revolutionären mit Begeisterung begrüßt wurde. Ein weiterer Meilenstein war die Einberufung einer preußischen Nationalversammlung nach Berlin, welche am 22. Mai zusammentreten und die Verfassung ausarbeiten sollte.

Bittere Illusionen

Als zur gleichen Zeit eine Revolution des Volkes in Bayern König Ludwig zum Rücktritt nötigte, schien es, als seien die Revolutionäre überall in Deutschland und im deutschen Teil des Kaisertums Österreich siegreich. Euphorisch machten sich Revolutionäre und Reformer ans Werk, ein neues Deutschland zu erschaffen, das nicht mehr am Partikularismus ersticken, sondern zu einer Nation mit einer Reichsregierung und einem Parlament heranwachsen sollte. Denn neben dem Grundprinzip der Freiheit wollten die Revolutionäre außerhalb Österreichs vor allem eines: die deutsche Einheit unter Führung Preußens. Noch wußten sie nicht, welch bitteren Illusionen sie aufsaßen.

Über den Autor:
Alain Felkel ist Historiker sowie Fernsehautor und lebt in Köln.

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