von Bernhard Tomaschitz
Argentiniens Präsident Javier Milei sorgt mit seinen Reformen zur Entbürokratisierung und Sanierung des Staatshaushaltes immer wieder für weltweite Schlagzeilen. Aber auch außenpolitisch ist Mileis Kurs eine nähere Betrachtung wert, kam es doch unmittelbar nach seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2023 zu einer Kehrtwende. Suchte sein peronistischer Vorgänger Alberto Angel Fernandez die Annäherung an China und Rußland, so brachte Milei das zweitgrößte Land Südamerikas wieder in den Schoß der USA zurück. Am deutlichsten wurde dies durch den Nichtbeitritt Argentiniens zur BRICS, nachdem diese von Moskau und Peking dominierte Staatengruppe zuvor im August 2023 den Weg für die Aufnahme Argentiniens geebnet hatte.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist eine Konstante der argentinischen Außenpolitik, daß peronistische Präsidenten – zu nennen sind Carlos Menem (1989-1999 im Amt), Nestor Kirchner und Cristina Fernandez de Kirchner, die von 2007 bis 2025 an der Spitze des Staates standen – auf gewisse Distanz zu Washington gehen, während sich konservative Präsidenten – hier ist Mauricio Macri zu erwähnen, der von 2015 bis 2019 amtierte – als treue Parteigänger der Vereinigten Staaten erweisen.
Bis zum Ende des Kalten Krieges waren die Beziehungen zwischen Washington und Buenos Aires besonders eng, wie die US-Denkfabrik Carnegie Endowment für International Peace in einem Artikel ausführt: „Argentinien war einer der vertrauenswürdigsten südamerikanischen Partner Washingtons in der Ära des Kalten Krieges. Argentinien war das einzige südamerikanische Land, das der Militärkoalition der Vereinigten Staaten im Golfkrieg 1991 beitrat, eine Entscheidung, die half, von der Regierung Bill Clintons als ‚wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter‘ eingestuft zu werden. Seitdem blieben die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten positiv, obwohl die politischen Tendenzen der argentinischen Regierungen weiter nach links geschwenkt sind.“
Sicherheitspolitisch nur an den USA orientiert
Unter Milei will Argentinien wieder an die Ära des Kalten Krieges anknüpfen und orientiert sich sicherheitspolitisch ausschließlich an Washington. Die US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) merkt an, daß sich die neue Ausrichtung Argentiniens auf die Vereinigten Staaten nicht nur auf die Wirtschaft beschränke, sondern auch in Richtung Verteidigungs- und Sicherheitskooperation gehe. So markierten die Reisen von Verteidigungsminister Luis Petri nach Brüssel und Kopenhagen im April 2024 den Beginn dieser Verschiebung. In Brüssel übergab Petri der NATO einen Brief, in dem er formell beantragte, Argentinien den Status eines „globalen Partners“ der Allianz zu gewähren. Petri versprach, daß Argentinien daran arbeiten werde, „unsere Streitkräfte nach NATO-Standards zu modernisieren und auszubilden“, was, so das CSIS, Mileis strategische Entscheidung widerspiegele, Argentinien in westliche Verteidigungsrahmen zu integrieren. Außerdem schloß Argentinien einen Waffenkauf über 24 gebrauchte F-16-Kampfjets aus Dänemark ab. Zuvor hatte China seine JF-17-Kampfflugzeuge als Alternative beworben, kam aber mangels NATO-Kompatibilität nicht zum Zug.
Pläne für NATO-Gegenstück am Südatlantik
Angesichts der herrschenden internationalen Spannungen könnte Washington die aus den 1970er-Jahren stammenden Pläne zur Gründung der SATO (South Atlantic Treaty Organization – Organisation des Südatlantikvertrages) reaktivieren, in denen Argentinien eine Schlüsselrolle zukommt. So erinnerte vor einigen Jahren der investigative Journalist Wayne Madsen daran, daß in CIA-Dokumenten aus dem Jahr 1976 Argentinien und Brasilien als mögliche Gründungsmitglieder der SATO, die der „sowjetisch-kubanischen Präsenz im südlichen Afrika entgegentreten soll“, genannt werden. Weitere Kandidaten für eine SATO-Mitgliedschaft waren Chile und Südafrika.
Laut Brent Jenkins von der Marineakademie Monterey war das SATO-Konzept von der NATO abgeleitet, deren Einsatzgebiet auf die atlantischen Gewässer nördlich des nördlichen Wendekreises beschränkt war. Welche geostrategische Bedeutung der Südatlantik habe, beschrieb der US-amerikanische Lateinamerika-Experte Jack Child. Diese Region sei eine „wichtige Arena“, in die Macht projiziert werden könne mit dem Versuch, erweiterte exklusive Wirtschaftszonen zu sichern und Ansprüche auf die Antarktis zu bekräftigen. Daher hätten insbesondere die Seestreitkräfte ein starkes Interesse, die nationale Aufmerksamkeit auf dieses Gebiet zu richten, weil es eine Rechtfertigung biete für Forderungen nach zusätzlichen finanziellen Mitteln und mehr Ausrüstung.
Wayne Madsen weist zudem darauf hin, daß der von Henry Kissinger entwickelte Plan zur Gründung einer SATO von Präsident Ronald Reagan weiterverfolgt worden sei. Demnach seien in Reagans militärischem Geheimdienstkomplex Weißbücher über die SATO aufgetaucht, und in einem Dokument aus dem Jahr 1982 werde die Gründung der SATO mit dem Hinweis auf folgende wahrgenommene Gefahr empfohlen: „Der Südatlantik wurde in den vergangenen Jahren zu einem Gebiet starker Ost-West-Konfrontationen, hat einen großen sowjetischen Einfluß, insbesondere an der Westküste Afrikas gesehen, und der Sowjetunion die Fähigkeit gegeben, die entscheidenden Schiffahrtsrouten in diesem Gebiet zu unterbrechen.“ Daß in den 1970er- und 1980er-Jahren die US-Bestrebungen, nach Vorbild der NATO ein Militärbündnis für den Südatlantik zu errichten, scheiterten, lag übrigens daran, daß Brasilien wegen der Apartheid in Südafrika, das heute BRICS-Mitglied ist, seine Unterstützung verweigerte.
Heute geht es vor allem darum, China aus der Region hinauszudrängen.
Denn für China, das seine Fühler nach Mittel- und Südamerika ausgestreckt hat, besitzt der Südatlantik große wirtschaftliche Bedeutung, weil er Afrika – wo das Reich der Mitte sehr präsent ist – mit Südamerika verbindet. Der argentinische geopolitische Analyst Juan Erardo Battaleme Martinez wies darauf hin, daß bereits die Biden-Regierung Pläne geschmiedet habe, um den Südatlantik eng an die USA zu binden. Im September 2022 stellte Außenminister Anthony Blinken ein Konzept vor, um den Nord- und Südatlantik politisch zu vereinen und so eine integrierte atlantische Politik zu etablieren, die Afrika einbeziehe und ausländische Mächte wie Frankreich, die Niederlande und das Vereinigte Königreich Großbritannien gegenüber China, Rußland und dem Iran in Stellung bringe. Diese Initiative ziele darauf ab, der Präsenz der Volksrepublik China in kritischer maritimer Infrastruktur wie Häfen, Unterwasserkabeln und Landverbindungen mit Häfen entgegenzuwirken.
Martinez machte auch deutlich, daß kurz- und mittelfristig die USA beim Wettlauf um Einfluß im Südatlantik die besseren Karten hätten als China. Denn sowohl in Bezug auf die geographische als auch auf die topologische Distanz liege Argentinien in der Nähe der USA und weit entfernt von der Volksrepublik China, die darüber hinaus nicht in der Lage sei, die Ziele Argentiniens im Falle eines Konfliktes zu unterstützen, da sie zumindest in naher Zukunft nicht die Mittel haben werde, um die Belagerung der USA und ihrer Verbündeten im Indopazifik militärisch zu brechen.
Lithiumabsatz: auf gute Beziehungen zu China angewiesen
Aus der militärischen Annäherung Argentiniens an Washington zu schließen, daß Buenos Aires zur Speerspitze der US-Bemühungen zur Eindämmung Chinas im südlichen Atlantik würde, wäre aber falsch. Denn Argentinien ist aus wirtschaftlichen Gründen auch weiterhin auf gute Beziehungen zu China angewiesen. Denn dieses südamerikanische Land hat eine der weltweit größten Reserven an Lithium, einem Alkalimetall, das unter anderem für die Produktion von Akkus für Elektrofahrzeuge benötigt wird – was nun die Führung vor eine knifflige Frage stellt. „Argentinien, das über große Lithiumreserven verfügt, steht vor einem strategischen Dilemma, gerade als mit dem neu gewählten Präsidenten Javier Milei eine fast unberechenbare Figur die Führung übernimmt“, schrieb Ende 2023 die australische Denkfabrik Lowy Institute.
Konkret geht es um die Frage, ob weiterhin das Geschäft mit China über diesen strategischen Rohstoff im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden solle. Dazu schrieb das Lowy Institute: „Auf der einen Seite besteht die Möglichkeit, die profitable Allianz mit China aufrechtzuerhalten, auf der anderen Seite besteht das Potenzial, sich einer von den USA geführten Lieferkette für Elektrofahrzeuge und die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien anzuschließen.“ Auch wenn sich Peking nach dem von Milei verfügten Nichtbeitritt Argentiniens zur BRICS-Gruppe gegenüber Buenos Aires pragmatisch verhalten hat, könnte eine dezidiert antichinesische Haltung Argentiniens schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben, da 43 Prozent der argentinischen Lithiumexporte ins Reich der Mitte gehen würden und chinesische Unternehmen wichtige Investoren im argentinischen Bergbausektor seien. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß Mileis Einfluß möglicherweise begrenzt sei. Vor allem könnten die Gouverneure der Provinzen, in denen sich Lithiumminen mit chinesischen Investitionen befinden, andere Interessen und Prioritäten haben als die nationale Regierung.