von Martin Hobek
Perón in Argentinien oder Pinochet in Chile – man kennt ihre Namen bis heute. Gegenwärtig gibt es nur mehr eine klassische Militärdiktatur in Südamerika, nämlich eine linksextreme unter Maduro in Venezuela. Auch in Paraguay, das 1864–1870 durch einen Krieg gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay nicht nur seinen Wohlstand, sondern auch 50 % seines Staatsgebietes und 80 % seiner männlichen Bevölkerung verlor, übernahm 1954 ein „Caudillo“ („Führer“) das Kommando: Alfredo Stroessner de Matiauda putschte als 42jähriger General gegen die Regierung. Er versuchte, seinen Staatsstreich eleganter aussehen zu lassen. Nachdem er einen Strohmann eingesetzt hatte, ließ er demokratische Wahlen durchführen, die nur einen Haken hatten: Auf dem Stimmzettel stand lediglich Stroessners Colorado-Partei, die die konservative traditionelle Großpartei war, neben den Liberalen. So wurde Stroessner, auch Strössner oder Strößner geschrieben, formell vom Volk zum Präsidenten gewählt. Die Einkerkerung der politischen Konkurrenz einschließlich der Folterung der Inhaftierten werfen Historiker Stroessner ebenso vor wie das bis heute ungeklärte Verschwinden von Mißliebigen und die Dezimierung eines Indianerstammes. Insofern unterscheidet sich das seine nicht vom üblichen Sündenregister seiner „Kollegen“ im Diktatorenfach.
Alfredo Stroessner hielt ausnahmslos seine schützende Hand über die damals etwa 40.000 Deutschen in Paraguay.
Drei Faktoren machen die Herrschaft Stroessners aber unverwechselbar: Da war zum einen seine Herkunft. Mütterlicherseits hatte sich eine Menge Lokalkolorit angesammelt, inkl. indigener Einsprengsel. Der Vater Hugo Strößner hingegen stammte aus dem heutigen Bundesland Bayern, genauer gesagt aus dem oberfränkischen Hof an der Saale, wo er vor seiner Auswanderung 1898 als Buchhalter in einer Brauerei gearbeitet hatte. Alfredo Stroessner hielt nicht nur ausnahmslos seine schützende Hand über die 40.000 Deutschen in Paraguay, unter denen sich auch 1945 geflüchtete Nationalsozialisten befanden, er warb sogar in westdeutschen Printmedien um Kapitalanleger im „menschenleeren“ Land Paraguay. Da für Stroessner der Antikommunismus höchste Priorität hatte, galt er der bundesdeutschen Führung als zuverlässiger Verbündeter im Kalten Krieg. Diese Position sicherte Stroessner auch das Wohlwollen der USA samt Einladung zum Staatsbesuch in Washington.
Stroessner gelang es, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Der ökonomische Aufschwung kam auch tatsächlich beim Volk an und versickerte nicht überwiegend in den Kanälen von Günstlingen – durchaus ungewöhnlich für Diktaturen. Das könnte auch eine Erklärung für die lange Regierungszeit ohne gröbere Widerstände sein. Der dritte Aspekt, der den Militärdiktator Stroessner beachtenswert macht, ist die Tatsache, daß er Andersdenkende zwar unterdrückte, auf internationaler Ebene aber durchaus mit ihnen „konnte“: Als Brasilien von Linken regiert wurde, gestaltete sich der Umgang jovial.
Ein Sudetendeutscher stampft am Amazonas eine Stadt aus dem Boden.
Die Rede ist von einer ebenfalls bemerkenswerten Persönlichkeit, nämlich dem 1956–1961 amtierenden brasilianischen Staatspräsidenten Juscelino Kubitschek de Oliveira, der ebenfalls deutsche Wurzeln hatte, wie man an der Schreibweise des slawischen Namens erkennen kann. Der sudetendeutsche Großvater Johann Kubitschek war schon 1835 nach Brasilien ausgewandert. Juscelino arbeitete nach seinem Medizinstudium auch in Paris, Berlin und Wien in Krankenhäusern. Als Spitzenkandidat einer Mitte-links-Koalition gelangte er mit der Parole „Fünfzig Jahre Fortschritt in fünf Jahren“ zum Erfolg. Kubitscheks größtes Projekt war es, hunderte Kilometer abseits der Hauptstadt Rio de Janeiro und der größten Metropole São Paulo eine neue Siedlung buchstäblich aus dem Erdboden zu stampfen: „Brasilia“ wurde 1960 zur neuen Hauptstadt erklärt.
Im September 1957 besuchte Stroessner Kubitschek in Brasilien, wovon auch eine Medaille zeugt. Gut möglich, daß sich die beiden abseits des Protokolles auf Deutsch unterhalten haben. „Einen“ sollten sie auch ihre tragischen Schicksale: Während Kubitschek 1976 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, der in Brasilien seit einer Untersuchung von 2013 als Komplott gilt, wurde Stroessner im Februar 1989 durch den Oberbefehlshaber der Armee, der pikanterweise auch Schwiegervater seines Sohnes Hugo Alfredo war, aus dem Amt geputscht. Alfredo Stroessner starb 93jährig am 16. August 2006 im Exil in Brasilia.