von Benedikt Kaiser
Kaisers Zone (9)
Sie haben es wieder getan: Die Sachsen stemmen sich einem Bundestrend entgegen und stellen sich gegen Waffenlieferungen. Eine Umfrage des Forschungsinstituts Civey ergab, daß 70 Prozent der Sachsen die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine ablehnten.
Erfolgt dies aus naiver Rußland-Apologie? Ja, meinen linksliberale Journalisten. Nein, meint Sachsens Mini-sterpräsident Michael Kretschmer (CDU). Er führt aus: „Die Menschen in den neuen Bundesländern haben natürlich über die Jahrzehnte, die sie mit oder unter den Russen der Sowjetunion gelebt haben, auch eine sehr klare Vorstellung über dieses Land, seine Radikalität und auch Brutalität sowie zur Frage, was ein Menschenleben wert ist oder nicht wert ist.“ In der Folge ergebe sich eine sächsische Mehrheitsmeinung, die diplomatische Initiativen den zunehmenden Waffenlieferungen vorziehe.
Es gilt hier, zwei Dinge zu bedenken:
Erstens ist Kretschmer ein Politprofi. Gemeinsam mit seinen Beratern fährt er eine erfolgreiche Strategie, indem er den Bundeskurs auf Sachsen zuschneidet. Er versucht, die majoritäre Stimme des Volkes zu erhören, damit die AfD keinen weiteren Zulauf erhalte – AfD und CDU stehen, Stand Mitte Februar, in den Umfragen beide bei 29 Prozent. Friedrich Merz läßt Kretschmer einstweilen schalten und walten. Denn auch der Bundeschef der Union hat kein Interesse daran, daß die AfD in Umfragen oder gar bei der Landtagswahl 2024 weiter zulege. Deshalb kann die Sachsen-CDU stärker auf blauem Terrain wildern als jeder andere Landesverband.
Zweitens muß man sich die Haltung einer sächsischen Mehrheit zu Rußland genauer ansehen. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße Übernahme russischer Positionen, wie man es im Westen hinsichtlich der Nachahmung US-amerikanischer Standpunkte kennt. Vielmehr sieht man Rußland pragmatisch als einstige Besatzungsmacht, die 1990 friedlich abzog, wohingegen die USA bis heute in Westdeutschland über militärische Stützpunkte verfügen. Zudem war Rußland bis zur Eskalation im Februar 2022 ein bedeutender Handelspartner für Mitteldeutschland; die Sanktionspolitik gegen Moskau sieht man als Schädigung der eigenen mittelständischen Wirtschaft. Die Mehrheit der Sachsen ist also nicht „putinistisch“, wie Westjournalisten höhnen. Sondern volks- und heimatverbunden. Das ist etwas fundamental Anderes.
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.